Leitsatz
1. Es ist dem Drittschuldner im Rahmen seiner Privatautonomie frei, nach eigenem Dafürhalten zu entscheiden, ob er dem mit der Benachrichtigung nach § 845 Abs. 1 ZPO verbundenen Ersuchen über die Abgabe einer Drittschuldnererklärung nachkommt oder sich angesichts eines ihn möglicherweise treffenden Bankgeheimnisses daran gehindert sieht.
2. Es ist nicht an dem Gerichtsvollzieher (GV), dem Drittschuldner diese freie Entscheidungsmöglichkeit durch Ablehnung der Zustellung abzunehmen.
AG Hildesheim, Beschl. v. 10.8.2021 – 23d M 30847/21
1 Der Fall
Gläubiger beauftragt den GV mit der Zustellung
Der Gläubiger beantragte mit Schreiben vom 1.6.2021 die Zustellung eines vorläufigen Zahlungsverbotes. Das Schreiben formuliert in seinem letzten Absatz wie folgt:
Zitat
Gleichzeitig wird der Drittschuldner ersucht, binnen zwei Wochen zu erklären:
1. ob und inwieweit er die Forderung als begründet anerkennt und Zahlung zu leisten bereit ist,
2. ob und welche Ansprüche andere Personen an der Forderung erheben,
3. ob und wegen welcher Ansprüche die Forderung bereits für andere Gläubiger gepfändet ist.
Eine Rechtspflicht zur Beantwortung der vorstehenden Fragen entsteht mit Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Der Drittschuldner wird gebeten, zur Vermeidung weiterer Kosten die vorstehenden Fragen unverzüglich zu beantworten.
GV lehnt wegen Rechtsmissbräuchlichkeit ab
Im Hinblick auf diesen Absatz hat der Gerichtsvollzieher die Zustellung unter Hinweis auf die Rechtsmissbräuchlichkeit der Formulierung abgelehnt. Der Gläubiger hat hiergegen mit Schriftsatz vom 17.6.2021 Erinnerung eingelegt.
2 II. Die Entscheidung
Das AG folgt dem Gläubiger
Die Erinnerung ist überwiegend zulässig und begründet. Die Erinnerung ist hinsichtlich des Antrags, den GV zur Zustellung anzuweisen, zulässig, im Übrigen unzulässig.
Erinnerung als statthaftes Rechtsmittel
Die Erinnerung nach § 766 Abs. 2 ZPO ist statthaft. Die Ablehnung des Gerichtsvollziehers, im Zwangsvollstreckungsverfahren eine Zustellung im Parteibetrieb vorzunehmen, kann mit der Vollstreckungserinnerung nach § 766 Abs. 2 ZPO angegriffen werden (OLG Koblenz DGVZ 2021, 66; LG Frankfurt (Oder) DGVZ 2019, 238; LG Saarbrücken DGVZ 2018, 253; Musielak/Flockenhaus, ZPO, 17. Aufl. 2020, ZPO § 845 Rn 11). Hierbei verkennt das Gericht nicht, dass der GV in dieser Sache "nur" als Zustellungsorgan tätig wird. Dies ändert nichts daran, dass die Zustellung selbst Teil der Zwangsvollstreckung und daher ebenfalls Vollstreckungsmaßnahme i.S.v. § 766 ZPO ist (ebenso OLG Koblenz a.a.O.). So hängt die Wirksamkeit der Vorpfändung nach § 845 Abs. 2 ZPO von der Zustellung an den Drittschuldner ab (OLG Stuttgart DGVZ 2021, 119 f.).
Örtliche Zuständigkeit in der Diskussion
Das AG Hildesheim ist als Vollstreckungsgericht sachlich wie örtlich für die Entscheidung über die Erinnerung zuständig.
Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus dem Umstand, dass sich der Gläubiger mit seiner Erinnerung gegen das Verhalten eines GV aus dem hiesigen AG-Bezirk wendet. Dabei sieht das Gericht sehr wohl die Regelung des § 828 Abs. 2 ZPO. Nach dieser Norm ist als Vollstreckungsgericht für die Zwangsvollstreckung in Forderungen jenes AG örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Der allgemeine Gerichtsstand des Wohnortes des Schuldners liegt bei dem AG B, da sich … in dem dortigen Bezirk befindet. Gleichwohl ist jedenfalls auch das erkennende Gericht zu einer Entscheidung über die Erinnerung berufen, zumal die Vollstreckungshandlung bei einem hiesigen GV begehrt wird und dessen Ablehnung der Zustellung eines Schreibens bei Drittschuldnern keinerlei Bezug zu dem Wohnort des Schuldners hat (so im Ergebnis – jedoch ohne Begründung – auch AG Heidelberg DGVZ 2018, 216).
Auch beim Rechtsschutzinteresse gibt es Probleme
Der Gläubiger hat hinsichtlich des Antrages zu 1. ein Bedürfnis nach Rechtsschutz. Dieses fehlt betreffend den Antrag zu 2. Ein Rechtsschutzbedürfnis liegt dort vor, wo der jeweilige Erinnerungsführer ein an objektiven Maßstäben gemessen nachvollziehbares Interesse an der gerichtlichen inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Erinnerungsgegenstand hat.
Dies ist im Hinblick auf die begehrte Weisung an den Gerichtsvollzieher, die Zustellung vorzunehmen, der Fall, da der Gläubiger nach der Weigerung des Gerichtvollziehers nur auf dem Erinnerungswege die begehrte Zustellung erwirken kann.
Nach dem AG kein Feststellungsinteresse
Hinsichtlich des Antrags festzustellen, dass der GV bei der Ablehnung der Zustellung rechtswidrig gehandelt habe, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis demgegenüber nicht. Ein gesondertes rechtliches Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit ist nicht ersichtlich. So ist – soweit im vorliegenden Erinnerungsverfahren relevant – die einzige Folge der Rechtswidrigkeit der Ablehnung des GV die Anweisung des Gerichts an ihn, eine Zustellung jedenfalls nicht mit der bisherigen Begründung zu verweigern. Die Erteilung dieser Weisung bestrebt der Erinnerungsführer mit seinem Antrag zu 1. Entspr...