Die kryptische Gerichtsvollzieherrechnung als System
Die Abrechnung des GV ist in ihrer Intransparenz kein Einzelfall, sondern die Regel. Während Rechtsanwälte und Inkassodienstleister gehalten sind, bis ins Kleinste darzulegen, für welche Maßnahme welche Gebühr oder Auslage entstanden ist, nehmen die Gerichtsvollzieher staatliche Privilegien in Anspruch und sind selbst auf Nachfrage nicht in der Lage, ihre Kostenrechnung zu erläutern. So gliedert sich Nr. 700 KV GvKostG in zwei Unterziffern mit insgesamt sechs verschiedenen Gebührentatbeständen und weitere Anmerkungen in immerhin vier Absätzen.
Hinweis
Dabei ist die Kostenrechnung auch meist nicht selbsterklärend. So kann eine Auslage nach KV 700 in Höhe von 4,50 EUR auf die elektronische Übersendung von drei Dateien à 1,50 EUR hindeuten, aber auch die Fertigung von neun Kopien à 0,50 EUR begründen.
Werden verschiedene Maßnahmen – hier insgesamt sechs Zustellungen – abgerechnet, findet keine Differenzierung in Einzelrechnungen je Maßnahme und eine Gesamtabrechnung statt, sodass die Auslagen auch nicht den einzelnen Gebühren und Maßnahmen zugerechnet werden können.
Die Gebühren für die Zustellung
Der Gerichtsvollzieher erhält vom Gläubiger zunächst nur für die Zustellung im Parteibetrieb Gebühren. Das ergibt sich schon aus der Überschrift des 1. Abschnitts der Anlage zum GvKostG. Es wird dann zwischen der persönlichen Zustellung in KV 100 und der sonstigen Zustellung in KV 101 der Anlage zum GvKostG unterschieden.
Der Unterschied ist mit 11 EUR für die persönliche Zustellung und 3,30 EUR für die postalische Zustellung erheblich.
Streitfrage
Ob es sich bei der elektronischen Zustellung um eine persönliche Zustellung oder eine sonstige Zustellung handelt, ist umstritten.
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Persönliche ZustellungVor allem in der Literatur wird vertreten, dass es sich um eine persönliche Zustellung handele (BeckOK-KostR/Herrfurth, GvKostG Nr. 100 Rn 5–14 (Stand 1.3.2024); OGV Goergen, DGVZ 2022, 32 und DGVZ 2023, 45). Es sei die Vergleichbarkeit zu § 180 ZPO, der Ersatzzustellung durch Einwurf in den Briefkasten, zu sehen. Der GV sorge nämlich persönlich dafür, dass das Dokument in den Machtbereich des Schuldners gelange. |
Hinweis
Das Argument ist ersichtlich unzutreffend. Das Gegenteil ist richtig. Der GV übermittelt die elektronischen Dokumente nämlich an seinen Provider als Dienstleister, so wie er einen Brief in den Briefkasten wirft. Sein Provider übermittelt die elektronische Nachricht dann an den Provider des Empfängers, der die Nachricht wiederum im Postfach des Empfängers ablegt.
Auch überwache der GV den Zugang der Nachricht und fertige die Zustellungsurkunde. Einerseits sei aus KV 100 GvKostG nicht zu entnehmen, dass sich der GV an einen anderen Ort begeben müsse, zum anderen habe die Neufassung von § 166 ZPO bewirkt, dass die Zustellung nicht in der Übergabe, sondern in der Bekanntgabe des Dokumentes liege. Dieser Ansicht sind verschiedene Gericht dann gefolgt, so das LG Bückeburg (10.10.2023 – 4 T 44/23), das AG Duisburg-Hamborn (DGVZ 2023, 223), das AG Emmerich (DGVZ 2023, 229) und das AG Wesel (21.9.2023 – 24 M 2066/23, DGVZ 2023, 254).
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Sonstige ZustellungNach anderer Ansicht liegt keine persönliche Zustellung vor, da es schon an der Möglichkeit des persönlichen Kontaktes mangele. Es fehlt an einer "Auseinandersetzung" wie an einem "Aufsuchen" des Schuldners (AG Lüneburg (30.3.2022 – 24 M 1458/22; DGVZ 2022, 202 und JurBüro 2023, 331). Dem folgt die weitere Rechtsprechung (LG Krefeld, 11.9.2023 – 7 T 110/23 unter Aufhebung von AG Kempen DGVZ 2023, 225 und AG Hannover, 5.10.23 – 760 M 107586/23, DGVZ 2023, 254) sowie die Spezialliteratur für das Kostenwesen der Gerichtsvollzieher (Schröder-Kay/Eggers, Kommentar zum GVKostG Teil II Nr. 100–102 KVGvKostG Rn 30 unter Hinweis darauf, dass sich der GV – wie bei der Post – des Providers als Dienstleister bediene). |
Elektronische Zustellung ist eine sonstige Zustellung
Der zweiten Auffassung ist zu folgen. Da es am persönlichen Kontakt zwischen GV und Empfänger und der Möglichkeit hierzu fehlt, liegt eben gerade keine persönliche Zustellung vor, sodass als Alternative nur die sonstige Zustellung nach KV 101 der Anlage zum GvKostG verbleibt. Es handelt sich schon dem Wortlaut nach um einen Auffangtatbestand, der sich nicht auf die postalische Zustellung beschränkt.
Hinweis
Vergleichend kann auf eine Entscheidung des BGH vom 21.10.2009 (IV ZB 27/09) verwiesen werden. Hier hat der BGH ausgesprochen, dass der Austausch per E-Mail keine Form der Besprechung i.S.d. Vorbem. 3 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 VV RVG darstelle. Der BGH hat damit argumentiert, dass "nach allgemeinem Sprachgebrauch, der grundsätzlich auch das Verständnis von Gesetzesbestimmungen prägt, eine Besprechung die – mündliche oder fernmündliche – Äußerung von Worten in Rede und Gegenrede erfordert, sodass der Austausch von Schriftzeichen per Brief, Telefax, SMS oder E-Mail nicht genügen kann". In gleicher Weise wird man die elektronische Zustellung nicht als "persönlich" qualifizier...