Ein rechtskräftiger Zuschlagsbeschluss kann nicht nach § 765a ZPO aufgehoben werden.
BGH, 1.10.2009 – V ZB 37/09
I. Der Fall
Zwangsversteigerung mit rechtskräftigem Zuschlag
Die miteinander verheirateten Schuldner sind als Eigentümer eines Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Das Grundstück ist mit einem Einfamilienhaus bebaut, in dem die Schuldner wohnen. Auf Antrag der Gläubigerin ordnete das AG die Zwangsversteigerung des Grundstücks an. Im Versteigerungstermin blieb der Ersteigerer mit einem Gebot von 90.000 EUR Meistbietender. Durch Beschluss vom 28.7.2008 wurde ihm das Grundstück zugeschlagen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldner wurde mit den Schuldnern am 21.11.2008 zugestelltem Beschluss des LG vom 17.11.2008 zurückgewiesen.
Jetzt: Antrag nach § 765a ZPO wegen Suizidgefahr
Mit Schriftsatz vom 24.11.2008 haben die Schuldner beantragt, die Anordnung der Zwangsversteigerung des Grundstücks gemäß § 765a ZPO aufzuheben, weil der Schuldner lebensbedrohlich erkrankt sei und das laufende Verfahren die Chancen seiner Heilung beeinträchtigen könne. Das AG hat den Antrag als unzulässig verworfen. Die sofortige Beschwerde der Schuldner hiergegen ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen sie ihren Antrag weiter.
II. Die Entscheidung
Schutzantrag ist schon unzulässig
Der Antrag der Schuldner ist auf eine Entscheidung gerichtet, die das Vollstreckungsgericht nicht treffen darf. Er ist unzulässig. Eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung kann nach § 765a Abs. 1 ZPO aufzuheben sein, wenn sie unter voller Würdigung der Schutzbedürfnisse des Gläubigers wegen besonderer Umstände für den Schuldner eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist.
Verfahrensrecht setzt Grenzen
Ob die Vorschrift es ermöglicht, ein angeordnetes Zwangsversteigerungsverfahren insgesamt aufzuheben, kann dahingestellt bleiben. Die beantragte Entscheidung müsste die Aufhebung des rechtskräftigen Beschlusses vom 28.7.2008 umfassen. Dies wäre nur möglich, wenn das Verfahrensrecht die Aufhebung zuließe. Daran fehlt es. Die Entscheidung über den Zuschlag ist der Rechtskraft fähig (BGH WM 1960, 25; BGH NJW-RR 1986, 1115; Stöber, ZVG, 19. Aufl., § 81 Rn 9.1). Die Verkündung der Entscheidung hindert gemäß § 318 ZPO das Vollstreckungsgericht an einer Aufhebung. Ist die Entscheidung rechtskräftig geworden, scheidet ihre Aufhebung auch im Rechtsmittelverfahren aus.
Dazu: Vollzogene materielle Rechtsänderung
Der Zuschlagsbeschluss ist eine hoheitliche Maßnahme, die in der Person des Zuschlagsbegünstigten Eigentum schafft und das Recht, aus dem die Zwangsversteigerung betrieben wird, und die diesem nachgehenden Rechte als Rechte an dem Grundstück erlöschen lässt, §§ 52 Abs. 1, 91 Abs. 1 ZVG. Einen Wegfall dieser Wirkungen nach Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses sieht das Zwangsversteigerungsgesetz nicht vor. Sie würde eine Enteignung des Zuschlagbegünstigten bedeuten, für die es an einer Grundlage fehlt.
III. Der Praxistipp
Immobiliarvollstreckung: Bitte Zeit und Geld mitbringen!
Die Entscheidung des BGH kann nur uneingeschränkt begrüßt werden. Wer einmal ein Zwangsversteigerungs- oder Zwangsverwaltungsverfahren durchgeführt hat, weiß, dass er vor allem Zeit und Geld mitbringen muss. Das Verfahren gibt dem Schuldner von Angriffen gegen die Verfahrenseinleitung über Einstellungsanträge, die Behinderung der Verkehrswertbestimmung der Immobilie und nachfolgende Rechtsmittel gegen Verkehrswertfestsetzung und Rechtsmittel gegen Zuschlagentscheidungen eine Vielzahl von Möglichkeiten, das Verfahren zu behindern und seine Nutzung ungestört fortzusetzen. Der wirtschaftliche Schaden des Gläubigers wird in dieser Zeit häufig noch weiter vertieft.
Gerechte Interessenabwägung
Der BGH bestätigt nun die Rechtskraftfähigkeit der Zuschlagentscheidung und eine alte Weisheit: Irgendwann muss Schluss sein. Nicht allerdings für den Schuldner: Es soll nicht in Zweifel gezogen werden, dass die Zwangsvollstreckung – gerade auch in selbstgenutzte Immobilien – für den Schuldner einen entscheidenden Einschnitt darstellen kann und auch gesundheitliche Probleme bis hin zur Suizidgefahr nicht ausgeschlossen sind. Es kann von dem Schuldner aber auch verlangt werden, dass er sich im modernen Sozial- und Gesundheitsstaat der dafür zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bedient und sich ambulant oder stationär behandeln lässt. Von den Gerichten wird erwartet werden können, dass sie ihn hierauf hinweisen. Im Einzelfall wird man dem Richter abverlangen, dass er ein staatliches Gesundheitsamt informiert, bevor er die ablehnende Entscheidung zustellen lässt. Mehr soll ein Schuldner auch im Angesicht der Rechte des Gläubigers und des Ersteigerers nicht erlangen dürfen.