Leitsatz
Gegen die Weigerung eines Gerichtsvollziehers, eine titelumschreibende vollstreckbare Ausfertigung mit Nachweisurkunde zuzustellen, findet nicht die Erinnerung nach § 766 ZPO, sondern der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG statt.
Der Gerichtsvollzieher darf eine solche Zustellung nicht unter Hinweis auf datenschutzrechtliche Bedenken verweigern, wenn die Nachweisurkunde eine Abtretung betrifft, die eine Vielzahl von Einzelforderungen umfasst, die lediglich durch die namentliche Bezeichnung der Schuldner ohne Anschriftenangabe sowie die Geschäftszeichen der jeweiligen Vollstreckungstitel konkretisiert sind.
OLG Hamm, 15.7.2010 – 15 VA 10/09
1 I. Der Fall
Titel ist umgeschrieben – Auftrag an GV zur ZwV
Die Gläubigerin will aus einem gemäß § 727 ZPO auf sie umgeschriebenen Vollstreckungsbescheid die Zwangsvollstreckung betreiben. Die Titelumschreibung erfolgte aufgrund einer Abtretungsvereinbarung, in deren Anlage titulierte Forderungen gegen zahlreiche Schuldner – u. a. auch gegen den Schuldner des vorliegenden Verfahrens – aufgeführt sind. Der Verfahrensbevollmächtigte der Gläubigerin erteilte dem GV einen Zwangsvollstreckungsauftrag, wobei er zugleich die Zustellung der Rechtsnachfolgeklausel und der Abtretungsvereinbarung beantragte.
Zustellungsversuche gescheitert
Der GV unternahm mehrere Zustellungs- und Vollstreckungsversuche und teilte der Gläubigerin schließlich mit, dass der Schuldner unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln sei. Hintergrund war, dass die Gläubigerin im Vollstreckungsauftrag ein falsches Geburtsdatum des Schuldners angegeben hatte.
Zusätzlich lehnt GV die Zustellung nach § 750 Abs. 2 ZPO ab
Daraufhin legte die Gläubigerin Erinnerung nach § 766 ZPO ein. In dem Erinnerungsverfahren nahm der GV in einem an den PräsAG gerichteten Schreiben Stellung und teilte nunmehr mit, dass er eine Zustellung der Abtretungsvereinbarung zusammen mit dem umgeschriebenen Titel im Sinne des § 750 Abs. 2 ZPO ablehne, da er gegen die Zustellung der Abtretungsvereinbarung wegen der darin enthaltenen Angaben über weitere Schuldner datenschutzrechtliche Bedenken habe. Das AG wies die Erinnerung zurück, da derzeit kein Rechtsschutzinteresse bestehe, weil wegen der noch fehlenden Zustellung des Titels verbunden mit der Vollstreckungsklausel und der Abtretungsvereinbarung die Zwangsvollstreckung zur Zeit nicht durchgeführt werden könne; über die Frage, ob der Gerichtsvollzieher zur Vornahme der Zustellung anzuweisen sei, habe das Vollstreckungsgericht nicht zu entscheiden; insoweit müsse die Gläubigerin ggf. einen Antrag nach § 23 Abs. 2 EGGVG stellen, über den das OLG entscheide.
Beschwerde in Antrag nach § 23 EGGVG umgedeutet
Gegen diesen Beschluss hat die Gläubigerin sofortige Beschwerde eingelegt. Auf einen Hinweis der Beschwerdekammer beim LG hat die Gläubigerin mitgeteilt, dass ihr Rechtsmittel auch als Antrag nach §§ 23, 24 EGGVG ausgelegt werden und die Akte dem OLG zugeleitet werden solle.
2 II. Die Entscheidung
Abgelehnte Zustellung ist Justizverwaltungsakt
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach §§ 23 ff. EGGVG statthaft. Lehnt der GV eine ihm angetragene Zustellung ab, so handelt er als Justizbehörde im Sinne des § 23 EGGVG. Der Antrag ist nicht nach § 23 Abs. 3 EGGVG ausgeschlossen, da der speziellere Rechtsbehelf des § 766 ZPO nicht einschlägig ist. Die Zustellung nach § 750 ZPO ist zwar Voraussetzung der Zwangsvollstreckung, gehört aber noch nicht zum Vollstreckungsverfahren selbst. Wird der GV – wie bei Zustellungen – außerhalb der Zwangsvollstreckung tätig, ist der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet (MüKo/Rauscher/Pabst, ZPO, 3. Aufl., § 23 EGGVG Rn 45; Baumbach/Hartmann, ZPO, 68. Aufl., § 23 EGGVG Rn 4; Wieczorek/Schütze/Schreiber, ZPO, 3. Aufl., § 23 EGGVG Rn 23; Musielak/Lackmann, ZPO, 7. Aufl., § 766 Rn 8; a.A. Kissel/Mayer, GVG, 6. Aufl., § 23 EGGVG Rn 127). Soweit vertreten wird, dass die Erinnerung nach § 766 Abs. 2 ZPO gegeben sei, wenn der Gerichtsvollzieher die Zustellung verweigert und er zugleich mit Zustellung und Vollstreckung beauftragt war bzw. die Zustellung zum Zwecke eines Vollstreckungsauftrags beantragt war (so: MüKo/Heßler, ZPO, 3. Aufl., § 750 Rn 95; Wieczorek/Schütze/Salzmann, ZPO, 3. Aufl., § 766 ZPO Rn 32; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 766 Rn 2), vermag sich das OLG dieser Ansicht nicht anzuschließen, da sich hieraus weitere Abgrenzungsprobleme ergeben können bzw. der Gläubiger durch die Gestaltung des Auftrags den zulässigen Rechtsbehelf bestimmen könnte.
Trotz Streitfrage keine Vorlage an den BGH
In diesem Zusammenhang hält das OLG nach erneuter Prüfung eine Vorlage der Sache an den BGH nach § 29 Abs. 1 EGGVG in der bis zum 31.8.2009 gültigen Fassung, die gemäß Art. 111 Abs. 1 S. 1 FGG-RG auf das vorliegende Verfahren noch Anwendung findet, im Hinblick auf die Entscheidung des KG vom 8.5.1984 (OLGZ 1985, 82 ff.) und die Entscheidung des OLG Frankfurt vom 18.6.1976 (Rpfleger 1976, 367) für nicht veranlasst. Diese Entscheidungen betrafen nicht den hier gegebenen Fall, d...