Leitsatz
1. Für die Nichtberücksichtigung des Ehegatten nach § 850c Abs. 4 ZPO genügt es, wenn nachgewiesen wird, dass die Ehegatten über die Lohnsteuerklasse IV verfügen und deshalb die Vermutung besteht, dass in etwa gleich hohe Arbeitseinkommen bezogen werden.
2. Eltern sind in der Regel gegenüber gemeinsamen Kindern im gleichen Umfang unterhaltspflichtig. Verfügt der Ehegatte deshalb über hinreichende eigene Einkünfte, um seiner Unterhaltspflicht nachzukommen, sind auch die gemeinsamen Kinder zur Hälfte beim Pfändungsfreibetrag nicht zu berücksichtigen.
LG Leipzig, Beschl. v. 12.7.2018 – 7 T 378/18
1 I. Der Fall
Pfändung von Arbeitseinkommen
Die Gläubigerin beantragte den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Mit Beschluss des AG wurden die angeblichen Ansprüche der Schuldnerin gegen den Drittschuldner auf Auszahlung des gegenwärtig und künftig fällig werdenden Arbeitseinkommens gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen. Die Schuldnerin bezieht ausweislich der Entgeltabrechnung für Juli 2017 ein Einkommen aus unselbstständiger Tätigkeit in Höhe von monatlich 2.319,80 EUR brutto/1.563,13 EUR netto. Sie gewährt ihrer am 21.11.2014 geborenen, in ihrem Haushalt lebenden Tochter C Naturalunterhalt. Der Kindsvater ist der Ehemann der Schuldnerin.
Antrag auf Nichtberücksichtigung des Ehemannes
Die Gläubigerin beantragte sodann, den Ehemann der Schuldnerin bei der Berechnung des pfandfrei zu belassenden Betrages als unterhaltsberechtigte Person gemäß § 850c Abs. 4 ZPO vollständig unberücksichtigt zu lassen. Die Gläubigerin begründete ihren Antrag damit, dass die Schuldnerin die Steuerklasse IV gewählt habe und diese vornehmlich Ehepaaren mit etwa gleich hohen Einkommen vorbehalten sei. Das Vollstreckungsgericht gab dem Antrag statt und änderte den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss antragsgemäß.
Antrag auf hälftige Nichtberücksichtigung des Kindes
Mit weiterem Schreiben beantragte die Gläubigerin, das minderjährige Kind der Schuldnerin bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Einkommens nur zur Hälfte zu berücksichtigen, und begründete dies damit, dass das Kind gegen den Kindsvater einen eigenen hälftigen Unterhaltsanspruch habe. Hierauf sprach das Vollstreckungsgericht gegenüber der Gläubigerin die Empfehlung aus, den Antrag zurückzunehmen. Die Gläubigerin hielt jedoch an ihrem Antrag fest, worauf das AG den Antrag zurückwies. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Gläubigerin.
2 II. Die Entscheidung
LG sieht Antrag als begründet an
Die sofortige Beschwerde ist statthaft und zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg. Der von dem Vollstreckungsgericht zurückgewiesene Antrag der Gläubigerin anzuordnen, das Kind der Schuldnerin bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens zur Hälfte unberücksichtigt zu lassen, ist berechtigt. Die Voraussetzungen des § 850c Abs. 4 ZPO liegen vor.
Voraussetzungen der Nichtberücksichtigung
Nach § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass eine unterhaltsberechtigte Person mit eigenen Einkünften bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Bei der Ermessensentscheidung hat das Gericht seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens geben. Eine einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet jedoch aus, weil sie dem Sinn des § 850c Abs. 4 ZPO widerspräche (BGH Rpfleger 2005, 371; BGH Rpfleger 2005, 201).
Unterhaltsanspruch als eigene Einkünfte
Das Kind der Schuldnerin hat eigene Einkünfte im Sinne des § 850c Abs. 4 ZPO, da ihm gegen den Kindsvater ein eigener Unterhaltsanspruch zusteht. Das Beschwerdegericht geht davon aus, dass das Kind in dem gemeinsamen Haushalt der Schuldnerin und ihres Ehemannes lebt. Beide Elternteile erfüllen ihre Unterhaltspflichten folglich "in natura".
Nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur sind gesetzliche Unterhaltsansprüche, die dadurch erfüllt werden, dass dem Unterhaltsberechtigten durch den Unterhaltsverpflichteten Naturalunterhalt gewährt wird, "eigene Einkünfte" des Unterhaltsberechtigten (vgl. BGH, Beschl. v. 16.4.2015 – IX ZB 41/14, juris; LG Leipzig, Beschl. v. 11.2.2015 – 7 T 841/14, juris; AG Ulm JurBüro 2003, 216; LG Ansbach JurBüro 2010, 50; Herget, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 850c Rn 12; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn 1060; a. A. LG Bayreuth MDR 1994, 621).
Pfändbarkeit des Einkommens des Unterhaltspflichtigen ist unerheblich
Entgegen der Auffassung des Vollstreckungsgerichts kann der Beitrag des Kindsvaters zum Familienunterhalt selbst dann als eigenes Einkommen des unterhaltsberechtigten Kindes im Sinne des § 850c Abs. 4 ZPO angesehen werden, wenn die Einkommen beider Elternteile im nahezu pfändungsfreien Bereich liegen. Denn für die Einordnu...