I. Das Problem
Zahlungsanspruch gegenüber Minderjährigen bei Schwarzfahrt?
Wir vertreten ständig ein örtliches Nahverkehrsunternehmen. Bei der Bearbeitung der "Schwarzfahrerfälle" stellt sich nun vermehrt eine besondere Problematik dar: Ein beschränkt geschäftsfähiges Kind bekommt von den Eltern die Erlaubnis, mit dem Zug zu einem Freund zu fahren. Das Kind kauft dann aber kein Ticket, weil es sich das Geld für eine andere Investition "sparen" will. Nun wird es aber kontrolliert und die Schwarzfahrt fällt auf. Das Beförderungsunternehmen verlangt das in den Vertragsbedingungen vorgesehene erhöhte Beförderungsentgelt (EBE) von 60,00 EUR. In der Bearbeitung stellen sich folgende Fragen:
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Besteht der Zahlungsanspruch, wenn die Eltern dem Kind das Geld für die konkrete Fahrt überlassen haben? |
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Ändert sich etwas, wenn die Eltern zwar die Fahrt erlaubt haben, für diese aber dem Kind nicht extra den Fahrpreis überlassen haben? |
Wie sind die Erfahrungen der Experten der FoVo?
II. Die Lösung
Grundsätze zum Minderjährigenrecht
Jugendliche sind ab Vollendung des 7. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres beschränkt geschäftsfähig (§§ 2, 106 BGB). Für den Abschluss von Rechtsgeschäften bedürfen sie nach § 107 BGB der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, es sei denn, die Willenserklärung ist für den Minderjährigen lediglich rechtlich vorteilhaft. Nach § 108 BGB können die gesetzlichen Vertreter auch noch nachträglich die Zustimmung erteilen. Ferner können Minderjährige nach Maßgabe des § 110 BGB (sog. "Taschengeldparagraf") Rechtsgeschäfte abschließen, wenn die gesetzlichen Vertreter ihnen entsprechende finanzielle Mittel zur freien Verfügung oder zu einem bestimmten Zweck zur Verfügung gestellt haben und der Minderjährige die vertragsmäßige Leistung damit tatsächlich bewirkt, also den Zahlungsanspruch erfüllt. Daneben begründen die §§ 112, 113 BGB zwei weitere Fälle, in denen der Minderjährige partiell geschäftsfähig ist.
Vertragliche Ansprüche gegen den Minderjährigen
Dem Beförderungsunternehmen könnte ein vertraglicher Zahlungsanspruch gegen den Minderjährigen zustehen. Der Beförderungsvertrag ist ein Werkvertrag (§ 631 BGB), der wie alle Verträge durch Angebot und Annahme zustande kommt.
Durch das Bereitstellen des Zuges gibt das Beförderungsunternehmen ein entsprechendes konkludentes Angebot ab, welches das minderjährige Kind durch Einsteigen konkludent annimmt. Da das Kind jedoch beschränkt geschäftsfähig ist, gelten die zuvor beschriebenen Regelungen der §§ 107 ff. BGB.
Nicht lediglich rechtlich vorteilhaft
Der Beförderungsvertrag verpflichtet das Kind zur Leistung des Entgelts, ist daher nicht lediglich rechtlich vorteilhaft i.S.v. § 107 BGB. Durch Bereitstellen des Fahrgelds haben die Eltern indes konkludent in den Abschluss eines Beförderungsvertrages eingewilligt.
Streit um die Einwilligung
Fraglich ist, ob die Einwilligung sich auch auf das "Schwarzfahren" erstreckt. Diese Frage ist umstritten. Eine höchstrichterliche Entscheidung ist noch nicht ergangen.
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Die wohl überwiegend vertretene Auffassung verneint eine wirksame Einwilligung, da die Einwilligung der Eltern unter der Bedingung (§ 158) stehe, dass der Minderjährige das Beförderungsentgelt entrichte. Die Einwilligung sei nicht bedingungsfeindlich, da sie kein Gestaltungsrecht sei. Nur dieses Verständnis werde der Bedeutung des Minderjährigenschutzes gerecht. Die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters ist auch nicht etwa gem. § 110 BGB entbehrlich, weil dies voraussetzt, dass der Minderjährige die vertragsmäßige Leistung bewirkt hat. Bei Schwarzfahrten ist dies aber nicht der Fall; denn die konkrete Fahrt ist gerade nicht bezahlt worden. |
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Die Gegenansicht bejaht hingegen eine wirksame Einwilligung durch die gesetzlichen Vertreter. Die Einwilligung der Eltern erstrecke sich allgemein auf den Abschluss eines Beförderungsvertrages. Die Annahme einer stillschweigenden Bedingung sei abzulehnen, da sich die Eltern über diese Frage regelmäßig keine Gedanken machten. Die Eltern könnten auch nicht einerseits mit dem Abschluss eines Beförderungsvertrages einverstanden sein, andererseits aber die Verantwortlichkeit des Kindes für Vertragsverletzungen ausschließen. Eine andere Auslegung setze falsche erzieherische Anreize, weil sie dem Minderjährigen sanktionsloses Schwarzfahren ermögliche. |
Die zuletzt genannte Auffassung überzeugt. Die Annahme einer Bedingung entspricht nicht dem tatsächlichen Willen der Eltern. Die Eltern stimmen nämlich dem Abschluss eines Beförderungsvertrages zu, weil sie auch bei der Schwarzfahrt keinen vertraglosen Zustand wünschen.
Streit um das EBE
Geht man demnach davon aus, dass ein wirksamer Beförderungsvertrag auch bei einer Schwarzfahrt des Minderjährigen zustande kommt, ist auf jeden Fall der vertragliche Zahlungsanspruch in Höhe des normalen Beförderungsentgelts entstanden. Fraglich ist, ob auch der Anspruch auf das erhöhte Beförderungsentgelt in Höhe von 60 EUR begründet ist. Auch diese Frage ist umstritten.
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Überwiegend wird die Auffassung vertreten, die Einwilligu... |