Das Vollstreckungsorgan hat eine unklare Bezeichnung im Vollstreckungstitel nach allgemeinen Grundsätzen auszulegen. Dabei darf es außerhalb des Titels liegende Umstände grundsätzlich nicht berücksichtigen.
BGH, 26.11.2009 – VII ZB 42/08
I. Der Fall
Der Schuldner betreibt in B. als Einzelkaufmann eine Firma mit der Bezeichnung „Rohrpost-Technik, Fernmelde- und Uhrenanlagen B. H.“, die in das Handelsregister eingetragen ist. Von der Gläubigerin tatsächlich verklagt und dann im Wege des Versäumnisurteils auch verurteilt wurde aber die „H. Rohrpost GmbH mit Sitz in B. (Deutschland)“. Das AG hat eine Vollstreckung gegen den wahren Schuldner aus dem Versäumnisurteil abgelehnt. LG und BGH haben diese Entscheidung auf die Rechtsmittel des Gläubigers bestätigt.
II. Die Entscheidung
Nach § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO darf die Zwangsvollstreckung nur beginnen, wenn die Person, gegen die sie stattfinden soll, in dem Urteil namentlich bezeichnet ist. Damit wird für das Vollstreckungsorgan die Prüfung, dass Gläubiger und Schuldner als Parteien des Zwangsvollstreckungsverfahrens mit den Personen identisch sind, für und gegen die der durch den Titel vollstreckbar gestellte Anspruch durchzusetzen ist, zuverlässig ermöglicht. Es geht dabei nicht nur darum, die Inanspruchnahme Unbeteiligter auszuschließen, sondern gegenüber dem Vollstreckungsschuldner zweifelsfrei klarzustellen, dass sich die Vollstreckung gegen ihn richtet (vgl. BGH v. 23.10.2003, I ZB 45/02; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 750 Rn 1).
Bei dieser rein formalen Prüfung hat das Vollstreckungsorgan die namentliche Bezeichnung des Schuldners im Titel nach allgemeinen Regeln auszulegen. Dabei sind Umstände, die außerhalb des Titels liegen, wegen der Formalisierung des Vollstreckungsverfahrens grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere für solche Umstände, die das materielle Rechtsverhältnis der Parteien betreffen. Für das Vollstreckungsorgan ist es ohne Bedeutung, welche sachlich-rechtlichen Ansprüche dem Gläubiger zustehen. Es ist nicht seine Aufgabe, im Vollstreckungsverfahren das materielle Recht zur Grundlage seiner Maßnahmen zu machen und einem Gläubiger ohne entsprechenden Schuldtitel einen Zugriff in Vermögen Dritter zu gestatten (vgl. BGH NJW 1957, 1877).
Der Praxistipp
Die kleine Nachlässigkeit bei der Mandatsübernahme …
Die Entscheidung des BGH zeigt ein in der Praxis immer wieder auftretendes Problem: Der Mandant gibt die Bezeichnung des (vermeintlichen) Schuldners vor, die dann so in den Mahnbescheidsantrag oder auch in die Klageschrift übernommen wird. Weil der Schuldner entweder nicht reagiert, d.h. ein Vollstreckungsbescheid im Mahnverfahren oder ein Versäumnisurteil im Erkenntnisverfahren erreicht wird, oder aber ebenfalls anwaltlich vertreten ist und der Anwalt keine Klarstellung vornimmt, findet die Falschbezeichnung auch Eingang in den (vermeintlichen) Vollstreckungstitel. Im Angesicht der Vollstreckung macht der wahre Schuldner nun geltend, nicht der im Titel genannte Schuldner zu sein.
… hat schwerwiegende Folgen
Die kleine Nachlässigkeit bei der Mandatsübernahme hat nun schwerwiegende Folgen. Nicht nur, dass die Vollstreckung wegen § 750 ZPO tatsächlich nicht durchgeführt werden kann. Die Forderung muss nun erneut tituliert werden. Der Gläubiger bleibt nun auf den Kosten des ersten Verfahrens sitzen. Dies kann für den Bevollmächtigten einen Haftungsfall darstellen, wenn er die Schuldneridentität nicht mehr überprüft hat. Im Ergebnis droht dem Gläubiger aber auch noch der Verlust der Hauptforderung. Der Mahnbescheid oder die Klage konnte nämlich gegenüber dem wahren Schuldner keine verjährungsunterbrechende Wirkung haben, so dass der Schuldner die Durchsetzbarkeit der Forderung ggf. allein mit dem Verjährungseinwand verhindern kann.
Wie kann das Problem vermieden werden?
Der Bevollmächtigte des Gläubigers muss schon vor der Titulierung die Identität des Schuldners noch einmal überprüfen, wenn er diese nicht als sicher qualifizieren kann. Im Fall des BGH hätte ein kurzer und kostenfreier Blick ins Handelsregister (www.unternehmensregister.de) genügt, um festzustellen, dass die in Anspruch genommene GmbH überhaupt nicht existiert, sondern es sich um einen eingetragenen Kaufmann (e.K.) handelt. Die Überprüfung sollte gerade bei Wirtschaftssachen durchaus auch während des Verfahrens wiederholt werden, wenn es Monate oder sogar – wegen Rechtsmittelverfahren – mehr als ein Jahr in Anspruch nimmt. So kann es auch veranlasst sein, Einsicht in das Genossenschafts- oder Partnerschaftsregister zu nehmen oder eine Einwohnermeldeamtsanfrage zu stellen. Aufwand und Nutzen stehen in jedem Fall in einem angemessenen Verhältnis. Im Fall des BGH hat sich eine alte Weisheit bewahrheitet: Zwangsvollstreckung beginnt schon mit dem Erkenntnisverfahren.