Leitsatz
1. Ein Rechtsanwalt (RA), der mit der zwangsweisen Durchsetzung einer Forderung beauftragt worden ist und einen Titel gegen einen Schuldner des Mandanten erwirkt hat, hat zügig die Zwangsvollstreckung zu betreiben, soweit pfändbares Vermögen bekannt ist oder mit den Möglichkeiten, welche die Zivilprozessordnung bietet, ermittelt werden kann.
2. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass eine Verzögerung der Zwangsvollstreckung zum Ausfall des Mandanten führen würde, muss der beauftragte RA die Zwangsvollstreckung mit besonderer Beschleunigung betreiben. Er muss dann unter den verfügbaren Vollstreckungsmöglichkeiten diejenige auswählen, die am schnellsten zu einem Ergebnis führt.
BGH, Beschl. v. 19.9.2019 – IX ZR 22/17
1 I. Der Fall kurz zusammengefasst
Vorläufig vollstreckbarer Titel und Zwangsvollstreckung
Der RA erwirkte am 26.6.2012 einen Vollstreckungstitel Zug um Zug gegen Abtretung von Rechten. Am 27.6. wurde die vollstreckbare Ausfertigung erteilt, am 8.7.2012 das Urteil zugestellt. Ein am 11.7.2012 erteilter Sachpfändungsauftrag blieb erfolglos. Zum Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft am 26.9.2012 erschien der Geschäftsführer der Schuldnerin nicht, was der GV allerdings erst am 7.11.2012 mitteilte. Nachdem das Urteil rechtskräftig geworden ist, stellt die Schuldnerin am 8.11.2012 Insolvenzantrag. Das Mandatsverhältnis zum RA wurde am 11.12.2012 beendet. Am 3.5.2013 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Schadensersatz wegen verzögerter Zwangsvollstreckung
Der Gläubiger nimmt den RA nun wegen verzögerter Zwangsvollstreckung auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG hat die Klage abgewiesen, das OLG ihr – Zug um Zug gegen die Abtretung der Ansprüche gegen die primäre Schuldnerin – stattgegeben.
2 II. Die Entscheidung kurz zusammengefasst
Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg. Die Entscheidung des OLG hat der Überprüfung durch den BGH standgehalten.
BGH sieht Pflichtverletzung des RA
Rechtsfehlerfrei habe das OLG eine Pflichtverletzung des RA darin gesehen, dass er es unterlassen hat, nach Erhalt der vollstreckbaren Ausfertigung des erwirkten Urteils alle Forderungen der Schuldnerin aus ihrer Geschäftsverbindung mit der S. zu pfänden.
Ein RA habe seinen Auftrag so zu erledigen, dass Nachteile für den Mandanten möglichst vermieden werden. Ein Rechtsanwalt, der mit der zwangsweisen Durchsetzung einer Forderung beauftragt worden ist und einen Titel gegen einen Schuldner des Mandanten erwirkt hat, hat zügig die Zwangsvollstreckung zu betreiben, soweit pfändbares Vermögen bekannt ist oder mit den Möglichkeiten, welche die Zivilprozessordnung bietet, ermittelt werden kann. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Insolvenz des Schuldners bevorsteht, muss der Anwalt den Mandanten so weit belehren, dass dieser in Kenntnis der absehbaren Chancen und Risiken eine eigenverantwortliche Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen kann (BGH WM 2017, 1938). Zu diesem Vorgehen kann die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner gehören. Droht dem Mandanten ein Rechtsverlust, hat der RA diesem durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken (BGH WM 2016, 2091). Deshalb muss der RA die Zwangsvollstreckung mit besonderer Beschleunigung betreiben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Verzögerung zum Ausfall des Mandanten führen würde.
Was hätte der RA tun können?
Das OLG hat unangegriffen festgestellt, dass der Auftrag an den RA auch die Zwangsvollstreckung beinhaltete und ein unverzüglich beantragter Pfändungs- und Überweisungsbeschluss noch im Juli 2012 der S. zugestellt worden wäre. Auch kannte der RA die Kontoverbindung der Schuldnerin. Die Insolvenzgefahr war ihm ebenso bewusst wie der Umstand, dass im Februar 2012 noch erfolgreiche Vollstreckungen gegen sie durchgeführt wurden. Der BGH bewertete dies als genug, um unverzüglich die Forderungspfändung als geboten zu erachten. Dass der Vollstreckungserfolg nicht sicher war, blieb für den BGH unerheblich.
Hinweis
Der BGH macht die Chancen der Vollstreckung deutlich: Der Gläubiger kann die Guthaben sämtlicher von einem Kreditinstitut geführter Konten des Schuldners pfänden, ohne deren Kontonummern angeben zu müssen (vgl. BGH ZIP 1988, 871; Stein/Jonas/Würdinger, ZPO, 23. Aufl., § 829 Rn 44). Die Pfändung des Kontoguthabens umfasst nicht nur das Guthaben am Tag der Zustellung des Pfändungsbeschlusses, sondern gemäß § 833a ZPO auch die Tagesguthaben der folgenden Tage. Auch ist der Anspruch auf Auszahlung eines zugesagten Darlehens mit dessen Abruf pfändbar (BGH BGHZ 147, 193, 195 ff.; BGH WM 2016, 135 Rn 3). Die Pfändung künftiger Forderungen ist möglich, wenn schon eine Rechtsbeziehung besteht, aus der die künftige Forderung nach ihrem Inhalt und nach der Person des Drittschuldners bestimmt werden kann (BGHZ 80, 172, 181; BeckOK-ZPO/Riedel, 2019, § 829 Rn 7).
Anhaltspunkte reichen, um die Vollstreckung zu gebieten
Schon das Wissen, dass die Schuldnerin ein Konto unterhielt, ermöglichte der Widerbeklagten also, auf potentielle Vermögenswerte der Schuldnerin im Wege der Forderungspfändung zuzugreifen. Eine solche Pfändung ist nicht rechtsmissbräuchlich (v...