Leitsatz

1. Ein Kind ist bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Einkommens nur zu 50 % zu berücksichtigen, wenn der Schuldner einen Kinderfreibetrag von 0,5 hat und der andere Elternteil Naturalunterhalt zahlt.

2. Der Pfändungsfreibetrag ist um einen Mietanteil zu kürzen, wenn der Schuldner in einem eigenen unbelasteten Haus wohnt und daher keine Wohnraummiete und keine Darlehensraten zahlt.

AG Nordenham, Beschl. v. 15.2.2021 – 6 M 712/20

1 I. Der Sachverhalt und die Entscheidung

Nichtberücksichtigung des Kindes wegen Unterhaltsleistungen

Die Gläubigerin hat mit Schreiben vom 13.1.2021 die teilweise Nichtberücksichtigung der Tochter der Schuldnerin bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Einkommens beantragt. Zur Begründung wurde angegeben, dass die Schuldnerin nur einen Kinderfreibetrag von 0,5 angegeben hat. Der Vater des Kindes leistet außerdem Naturalunterhalt, welcher zu Unterhaltsleistungen zählt, die wiederum als Einkommen zu bewerten sind.

Schuldnerin hat keine Mietbelastungen

Des Weiteren beantragte die Gläubigerin die Festsetzung eines neuen unpfändbaren Betrages. Da die Schuldnerin ihr eigenes unbelastetes Haus bewohne, habe sie keine Miete und auch keine Tilgungsraten zu zahlen. Die Kaltmiete solle deshalb von dem unpfändbaren Teil abgezogen werden. Da die Schuldnerin noch Nebenkosten zu zahlen habe, schlug die Gläubigerin vor, einen Betrag von 300,00 EUR abzuziehen.

Diesem Vorschlag war zu folgen, da er nachvollziehbar dargelegt wurde. Da der derzeitige Freibetrag gemäß § 850c Abs. 1 S. 1 ZPO 1.178,59 EUR beträgt, war der neue Betrag auf 878,59 EUR festzusetzen.

AG bezieht sich auf die Rechtsprechung zur Minderung des pfändbaren Betrages

Im Übrigen wird auf die Angaben der Gläubigerin im Antrag und die Entscheidungen des LG Dresden vom 13.10.2014 – 2 T 716/14 (JurBüro 2015, 159), AG Oranienburg vom 11.8.2016 – 91 M 712/14 (JurBüro 2016, 658) und AG Wuppertal vom 14.2.2020 – 44 M 7876/19 (JurBüro 2020, 269) Bezug genommen.

Was nicht bestritten ist, wird als zugestanden behandelt

Der Schuldnerin wurde der Antrag zur Stellungnahme übersandt. Eine Stellungnahme ist nicht eingegangen.

2 Der Praxistipp

Neuregelung der Nichtberücksichtigung unterhaltsberechtigter Personen

Im Rahmen der Reform des Pfändungsschutzkontos durch das Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz (PKoFoG) wurde § 850c umfassend umgestaltet. Dabei hat der Antrag auf Nichtberücksichtigung unterhaltsberechtigter Personen von Abs. 4 in Abs. 6 seinen Regelungsort gewechselt. Hat eine Person, welcher der Schuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt, eigene Einkünfte, so kann das Vollstreckungsgericht danach auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass diese Person bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt.

 

Hinweis

Anders als das Kindergeld (BGH v. 9.7.2020 – IX ZB 38/19) zählt der Barunterhalt zum Einkommen der gesetzlich unterhaltsberechtigten Person (BGH v. 19.12.2019 – IX ZB 83/18).

Abweichung von § 850c ZPO

Der pfändungsfreie Betrag nach § 850c Abs. 1 und 2 ZPO wird als Warenkorb ermittelt. In ihm sind also etwa Anteile für die Fahrt zur Arbeit, für die Kalt- und auch für die Warmmiete enthalten. Fallen diese Positionen nicht an, ist es also im Hinblick auf den verfassungsrechtlich geschützten und im Einzelfall titulierten Anspruch des Gläubigers nicht gerechtfertigt, dem Schuldner einen entsprechenden Pfändungsfreibetrag zu gewähren. Gleiches kann gelten, wenn die berücksichtigten Ansätze wesentlich überschritten oder unterschritten werden, wie sich schon aus § 850f ZPO ergibt. Dabei darf allerdings der Charakter als Pauschalierung nicht außer Betracht gelassen werden. Es ist also eine erhebliche Abweichung in der Wirklichkeit vom Warenkorb erforderlich.

Erhöhung des Einkommens statt der Kürzung des pfändungsfreien Betrages nach § 850c ZPO

Zur Berechnung des pfändungsfreien Betrages bei der fehlenden Notwendigkeit, Miete zu zahlen, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten (ausführlich Goebel, FoVo 2020, 224). Der eine Teil der Rechtsprechung addiert eine fiktive, dem tatsächlichen Wohnraum angemessene Miete dem Einkommen hinzu und berechnet aus dem dann neuen fiktiven Einkommen den pfändbaren Betrag. Der andere Teil der Rechtsprechung zieht die fiktive Miete von dem individuellen Pfändungsfreibetrag ab und erachtet dann das übersteigende Einkommen für pfändbar. So geht grundsätzlich auch das AG Nordenham vor. Allerdings ist eine Kontrollrechnung zu machen. Im pfändungsfreien Betrag sind nämlich 26,10 % für die Kaltmiete und weitere 6,52 % für die Nebenkosten, insgesamt also 32,62 % für die Warmmiete enthalten (vgl. AG Wuppertal v. 14.2.2020 – 44 M 7876/19). Mehr als dieser Anteil kann also nicht gekürzt werden. Bei einem aktuellen Pfändungsfreibetrag von 1.252,64 EUR können also höchstens 326,94 EUR für die ersparte Kaltmiete und 408,61 EUR für die ersparte Warmmiete in Abzug gebracht werden.

FoVo 5/2022, S. 99 - 100

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