Mehrbedarf: Das sind die Voraussetzungen
Der BGH bestätigt die landgerichtliche Entscheidung. Ein besonderes Bedürfnis des Schuldners im Sinne des § 850f Abs. 1 Buchst. b ZPO setzt voraus, dass dieses konkret und aktuell vorliegt und außergewöhnlich in dem Sinne ist, dass es bei den meisten Personen in vergleichbarer Lage nicht auftritt. Denn die Vorschrift dient dazu, einen Ausgleich zu schaffen, wenn der individuelle Bedarf durch die pauschal unpfändbaren Einkommensteile aufgrund besonderer Umstände nicht gedeckt werden kann (Zöller/Stöber, ZPO, 27. Aufl., § 850f Rn 1). Im Hinblick auf medizinische Behandlungen ist dies dann der Fall, wenn der Schuldner Beträge aufwenden muss, die ihm aus Anlass einer Krankheit entstehen (LG Düsseldorf JurBüro 2006, 156; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850f Rn 4; Zöller/Stöber, 27. Aufl., § 850f Rn 4; Musielak/Becker, ZPO, 6. Aufl., § 850f Rn 5; Kessal-Wulf, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 4. Aufl., § 850f ZPO Rn 7), ohne dass die Kosten von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden. Davon umfasst sind grundsätzlich aus medizinischen Gründen erforderliche Therapien.
Interessen von Gläubiger und Schuldner richtig abwägen
Im Hinblick auf die erforderliche Abwägung zwischen Gläubigerinteressen und Schuldnerschutz ist zu fordern, dass ein objektivierbares Bedürfnis des Schuldners bestehen muss, auf das billigerweise bei der Vollstreckung oder der Durchführung des Insolvenzverfahrens Rücksicht zu nehmen ist. Hierfür genügt nicht, dass die fragliche Therapie hilfreich oder sinnvoll ist, wie in den vorgelegten Attesten bestätigt wurde. Vielmehr liegt ein anzunehmendes Bedürfnis nur vor, wenn dem Schuldner nicht zugemutet werden kann, aus wirtschaftlichen Gründen auf die Behandlung zu verzichten. Die Behandlung muss aus medizinischen Gründen erforderlich sein, um eine Besserung der Krankheit oder ihrer Symptome zu erreichen oder einer Verschlechterung vorzubeugen. Diese Wirkung muss objektivierbar, also für das Leiden des Schuldners wissenschaftlich nachgewiesen sein. Darüber hinaus müssen die Kosten für die Therapie verhältnismäßig sein, also individuell gerade beim Schuldner in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen. Dies ist tatrichterlich unter Würdigung aller Umstände festzustellen.
Entsprechende Grundsätze liegen dem Recht der gesetzlichen Krankenkassen zugrunde. Deren Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, dürfen aber das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können die Versicherten nicht beanspruchen. Andernfalls hat unter den genannten Voraussetzungen die gesetzliche Krankenkasse nach §§ 12, 13 SGB V die Kosten zu übernehmen. Dabei müssen die Behandlungsmethoden gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht zur Schulmedizin gehören.
Nach neuem Recht ist in der gesetzlichen Krankenversicherung ein allgemeines Prüfungsverfahren eingeführt, in dem bei - in weitem Sinn zu verstehenden - neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden die Leistungspflicht der Krankenkasse von der Anerkennung der Methode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nach § 135 SGB V abhängt. Eine unmittelbare Anwendung des § 12 SGB V im Einzelfall ist daher nur außerhalb des Anwendungsbereiches des § 135 SGB V zulässig, also wenn keine neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden vorliegen. Innerhalb des Anwendungsbereiches des § 135 SGB V kommen Einzelfallentscheidungen der Krankenkassen und Sozialgerichte nur in Betracht, wenn die Einleitung oder Durchführung des Verfahrens des Bundesausschusses nach § 135 SGB V willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen blockiert oder verzögert wird. Ist allerdings § 12 SGB V unmittelbar anwendbar, müssen dessen Voraussetzungen für die Leistungserbringung im konkreten Einzelfall geprüft werden. Gegebenenfalls hat der Versicherte sodann einen Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 13 SGB V.
Neues Krankenversicherungsrecht beachtlich
Für den Schuldner, der Sozialhilfe bezieht, werden als Hilfen zur Gesundheit gemäß § 52 SGB XII die Leistungen nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenkassen erbracht; für ihn gelten gleichermaßen die Zuzahlungspflichten in der Krankenversicherung. Deren Ausgaben für die Gesundheitspflege sind nach heute geltendem Recht beim Sozialhilfeempfänger vom Regelsatz der Regelsatzverordnung umfasst, weil dieser den Gesamtbedarf deckt.
BGH: Individuelle Situation entscheidet
Der Maßstab für die Beurteilung besonderer Bedürfnisse im Sinne des § 850f Abs. 1 Buchst. b ZPO ist zwar die individuelle Situation beim konkreten Schuldner. Bei der Frage, ob ihm zu Lasten der Gläubiger ein pfändbarer Teil seines Einkommens zu belassen ist, kann jedoch bei der Abwägung der Belange des Schuldners und der Gläubiger in der Regel kein Maßstab angelegt werden, der den Schuldner besser stellt als die gesetzlich Krankenversicherten oder diejenigen Personen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Dass er insoweit...