Der Deutsche Bundestag hat am 7.5.2020 und der Bundesrat am 5.6.2020 das "7. Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze" (BT-Drucks 19/17586, Art. 8 Nr. 3) beschlossen. Damit wird u.a. § 74a SGB X geändert: Die Wertgrenze "in Höhe von mindestens 500 Euro" wird gestrichen und damit der Gleichklang mit § 802l ZPO wiederhergestellt (zum Problem Goebel, FoVo 2017, 26). Diese Änderung war schon mehrfach zugesagt, bisher aber nicht umgesetzt worden.
Nach der Zustimmung des Bundesrates wird das Gesetz voraussichtlich noch im Juni, nach dem Redaktionsschluss dieser Ausgabe, verkündet. Es tritt dann zum 1.7.2020 in Kraft (Art. 28 Abs. 1 des Gesetzes).
Geänderte Rechtslage: nicht mehr zwischen Frage und Antwort unterscheiden
Die Rechtsprechung differenzierte bisher im Frage- und Antwortspiel, um den Widerspruch zwischen §§ 755, 802l ZPO auf der einen Seite und § 74a SGB X auf der anderen Seite zu lösen.
Aus vollstreckungsrechtlicher Sicht galt keine 500-EUR-Grenze. Der GV ist allein an die ZPO gebunden und deshalb verpflichtet, die Deutsche Rentenversicherung nach dem Arbeitgeber anzufragen (LG Düsseldorf, v. 3.4.2018 – 19 T 192/17 mit der die entgegenstehende Entscheidung des AG Neuss v. 30.10.2017 – 63 M 667/17 aufgehoben wurde; LG Bonn, v. 31.8.2017 – 4 T 309/17).
Es obliegt dann aber der Deutschen Rentenversicherung zu entscheiden, ob sie antwortet. In der sozialrechtlichen Literatur wurde – soweit das Problem überhaupt gesehen wurde – das redaktionelle Versehen des Gesetzgebers zwar gesehen, gleichwohl die Wertgrenze für weiterhin verbindlich erachtet (Woltjen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 74a SGB X Rn 48).
Änderung der ZPO wird endlich nachvollzogen
Mit den Streichungen der Wertgrenze in § 74a SGB X wird dem früheren Wegfall der Wertgrenzen in § 755 Abs. 2 S. 2 und § 802l Abs. 1 S. 2 der ZPO durch das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozessualer, grundbuchrechtlicher und vermögensrechtlicher Vorschriften und zur Änderung der Justizbeitreibungsordnung (EuKoPfVODG) vom 21.11.2016 (BGBl I 2016, S. 2591) nun endlich Rechnung getragen und der Widerspruch aufgelöst.
Adresse und Arbeitgeber können besser ermittelt werden
In §§ 755, 802l ZPO ist für die rechtmäßige Erhebung von Sozialdaten durch Gerichtsvollzieher unter anderem bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung die Forderungsmindesthöhe von 500 EUR schon früher entfallen. Mit der Streichung in § 74a Abs. 2 SGB X entfällt nun in der – für die gesetzlichen Rentenversicherungsträger maßgeblichen – korrespondierenden Übermittlungsbefugnis im Sozialgesetzbuch ebenfalls die Forderungsmindesthöhe von 500 EUR als Voraussetzung für die Übermittlung der Sozialdaten an die ersuchenden Gerichtsvollzieher.
Hinweis
Für die Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen Forderungen durch Vollstreckungsbehörden wird mit der entsprechenden Streichung ein Gleichlauf mit den diesbezüglichen Sachaufklärungsbefugnissen der Gerichtsvollzieher geschaffen.
Elektronische Übermittlung
Das Ersuchen der Gerichtsvollzieher sowie die diesbezüglich erfolgende Auskunftserteilung durch die gesetzlichen Rentenversicherungsträger sind elektronisch abzuwickeln. Die Übermittlungen erfolgen dabei über das elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach "EGVP" bzw. über die Anwendung "elektronische Gerichtsvollzieher (eGVZ)".
GV auf die geänderte Rechtslage hinweisen
Da die Neuregelung durch ein Gesetz erfolgt, dem sicher nicht die erste Aufmerksamkeit der Gerichtsvollzieher gilt, kann es sinnvoll sein, den Gerichtsvollzieher auf die Änderung in neuen Anträgen hinzuweisen und ihn in möglicherweise laufenden Auskunftsersuchen darauf aufmerksam zu machen, wenn der Wert der Forderung unter 500 EUR liegt. Die FoVo hilft gerne mit Musteranträgen:
Musterantrag bei aktueller Antragstellung
Die aktuelle Antragstellung bei der Aufenthaltsermittlung nach § 755 ZPO:
Musterantrag bei aktueller Arbeitgeberermittlung
Die aktuelle Antragstellung bei der Arbeitgeberermittlung nach § 802l ZPO:
Anschreiben an den GV bei laufenden Antragsverfahren
Wurde der Antrag bereits gestellt, bedarf es für den Hinweis nicht mehr der Verwendung des Formulars nach der GVFV. Vielmehr genügt die formlose Mitteilung:
An den
(Ober-)Gerichtsvollzieher in …
In der Vollstreckungssache
Gläubiger ./. Schuldner
Az.: …
wird unter Bezugnahme auf den bereits vorliegenden Antrag vom … mitgeteilt, dass § 74a SGB X zum 1.7.2020 durch das "7. Gesetz zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze" geändert und die dort bisher niedergelegte Wertgrenze von 500 EUR für Auskunftsersuchen der Gerichtsvollzieher gestrichen wurde. Auch bei geringeren Forderungen ist dem Auskunftsersuchen mithin Rechnung zu tragen.
Wir bitten für den Gläubiger um entsprechende Beachtung.
FoVo 6/2020, S. 108 - 111