Leitsatz
Im Wege der teleologischen Extension ist § 850k Abs. 4 ZPO dahin zu verstehen, dass auch § 851 ZPO in diesem Rahmen als Pfändungsschutzvorschrift beachtlich ist.
AG Passau, Beschl. v. 7.5.2020 – 4 M 1551/20
1 I. Der Fall
Corona-Soforthilfe geht auf dem gepfändeten Konto ein
Vorliegend wurde dem Schuldner "Corona-Soforthilfe" in Höhe von 5.000 EUR durch die Regierung von Niederbayern gemäß Art. 53 der Bayerischen Haushaltsordnung (BayHO) auf sein P-Konto ausbezahlt. Der Schuldner hat die Freigabe eines abweichenden pfändungsfreien Betrages im Sinne von § 850k Abs. 4 ZPO beantragt. Die Gläubiger wurden zum Antrag gehört, haben sich aber nicht geäußert.
2 II. Die Entscheidung
AG sieht erfolgreiches Schutzbegehren
Der Antrag ist zulässig und nach Ansicht des Vollstreckungsgerichts in vollem Umfang begründet:
Eine Unpfändbarkeit dieser expliziten Gelder wurde durch den Gesetzgeber bis dato nicht geschaffen. Gemäß § 851 Abs. 1 ZPO ist allerdings eine Forderung in Ermangelung besonderer Vorschriften der Pfändung nur insoweit unterworfen, als sie übertragbar ist.
Zweckbindung der Forderung
Die Zweckbindung muss sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ableiten, wie dies z.B. bei den Vorschriften zur Gewährung öffentlicher Beihilfen regelmäßig der Fall ist. Sie kann sich auch aus der Natur des Rechtsverhältnisses und bei öffentlich-rechtlichen Leistungen ferner aus den einschlägigen normersetzenden oder norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften ergeben (BGH WM 1970, 253). Als im Sinne des § 851 ZPO zweckgebunden und damit weder abtretbar noch pfändbar sind folglich die "Corona-Soforthilfen" des Bundes und der Länder einzustufen.
Vereinbarte Zweckbindung reicht
Auch eine vereinbarte Zweckbindung kann zur Unpfändbarkeit eines Anspruchs führen. Ob dies ganz allgemein oder nur unter der zusätzlichen Voraussetzung gilt, dass der Zweckbindung treuhänderischer Charakter zukommt, hat der BGH bisher offengelassen (vgl. BGH WM 1998, 40; NJW 2000, 1270; BeckOK-ZPO/Riedel, 36. Ed. 1.3.2020, ZPO § 851 Rn 10)
Problematisch ist hierbei allerdings, dass die Corona-Soforthilfe bereits auf das P-Konto überwiesen worden ist und die Verweisungsvorschrift des § 850k Abs. 4 S. 2 ZPO nicht auf den § 851 ZPO verweist. Allerdings ist in diesem Zusammenhang nach Ansicht des Vollstreckungsgerichts die Vorschrift des § 850k Abs. 4 S. 2 ZPO um die des § 851 ZPO teleologisch zu erweitern (teleologische Extension).
Beschluss erst mit Rechtskraft wirksam
Da die Rechtslage nach Ansicht des Vollstreckungsgerichts nicht eindeutig durch den Gesetzgeber geregelt ist, war die Wirksamkeit von der Rechtskraft abhängig zu machen, um den Gläubigern die Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung zuzugestehen.
3 Der Praxistipp
§ 851 ZPO: Das Ergebnis könnte richtig sein …
Die Ausführungen des Amtsgerichts zu § 851 Abs. 1 ZPO sind als Obersatz nicht zu beanstanden. Allerdings fehlt es dann an der notwendigen Subsumtion. Denn es wäre jetzt zu prüfen gewesen, was im konkreten Kontext denn die Zweckbindung ist und ob sich der Gläubiger innerhalb der Zweckbindung bewegt. Dazu geben etwa Art. 240 §§ 1–3 EGBGB, aber auch das Ziel, den Wirtschaftsbetrieb aufrechtzuerhalten und vor einer Insolvenz zu bewahren, Hinweise. Dann wäre zu klären gewesen, ob sich die Forderung des Gläubigers innerhalb oder außerhalb des Zweckbereiches bewegt. An all dem fehlt es. Es fehlt schon an tatbestandlichen Feststellungen dazu.
§ 850k Abs. 4 und § 851 ZPO: Das Ergebnis könnte vielleicht falsch sein …
Die Schwäche der Begründung der Entscheidung setzt sich bei der bloßen Behauptung fort, dass im Wege der teleologischen Reduktion § 851 ZPO zu den Pfändungsschutzvorschriften zu zählen ist, die § 850k Abs. 4 ZPO auf das P-Konto überträgt. Voraussetzung wäre nämlich, dass eine Gesetzeslücke vorliegt. Dazu fehlt jede Feststellung. Möglicherweise scheitert die Annahme einer Gesetzeslücke aber schon daran, dass der Gesetzgeber ganz ersichtlich eine Reihe von Pfändungsschutzvorschriften vor Augen hatte und deshalb mehr dafür sprechen könnte, dass er auf die Einbeziehung von § 851 ZPO bewusst verzichtet hat, als dass er ihn übersehen haben könnte. Insoweit muss gesehen werden, dass auch der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf eines "Gesetzes zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes (Pfändungsschutzkonto-Fortentwicklungsgesetz – PKoFoG)" keine Aufnahme des Pfändungsschutzes nach § 851 ZPO vorsieht, vgl. § 906 ZPO-E (BR-Drucks 166/20).
Das mag vor dem Hintergrund, dass § 765a ZPO herangezogen werden kann, wenn atypische Situationen zu beurteilen sind, auch gut erklärt werden (siehe hierzu LG Köln v. 23.4.2020 – 39 T 57/20, FoVo 2020, 95; AG Bergisch-Gladbach v. 8.4.2020 – 39 M 1232/17). Zu sehen ist dabei, dass § 765a ZPO bewusst zusätzliche Voraussetzungen normiert, nämlich eine besondere Härte, die gegen die guten Sitten verstößt. So könnte der Schuldner noch über anderes Vermögen verfügen, das seinen Lebensunterhalt sichert und den Gesc...