Leitsatz
1. Das Zwangsvollstreckungsverfahren gehört nach § 172 Abs. 1 S. 3 ZPO zum ersten Rechtszug, weshalb Zustellung in diesem Verfahren nach § 87 ZPO auch nach Erlöschen der Vollmacht an den Prozessbevollmächtigten des ersten Rechtszuges erfolgen kann.
2. Der Fortbestand der Pflicht zur Weiterleitung von Schriftstücken auch nach Beendigung des Mandats mag einen Eingriff in die Berufsfreiheit des Rechtsanwalts darstellen, der aber zur Sicherstellung der Rechtspflege erforderlich ist.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 22.1.2020 – 6 W 105/19
1 I. Der Fall
Ordnungsgeldbeschluss auf Unterlassungsurteil
Das OLG hat die Schuldnerin unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zur Unterlassung verurteilt. Das LG hat auf Antrag des Gläubigers gegen die Schuldnerin wegen Verstoßes gegen die Unterlassungsverpflichtung ein Ordnungsgeld in Höhe von 2.000 EUR verhängt.
Dagegen wendet sich die Schuldnerin mit der sofortigen Beschwerde, der das LG mit Beschluss vom 20.11.2019 nicht abgeholfen hat. Bei dem Streit geht es um die fristgerechte Einlegung der Beschwerde.
2 II. Die Entscheidung
Unzulässige Beschwerde
Die Beschwerde ist unzulässig. Der Ordnungsmittelbeschluss ist dem Rechtsanwalt der Schuldnerin im Erkenntnisverfahren per Zustellungsurkunde zugestellt worden. Die Zustellung ist wirksam. Das Vollstreckungsverfahren gehört nach § 172 Abs. 1 S. 3 ZPO zum ersten Rechtszug. Zustellungen sind daher an den Prozessbevollmächtigten zu richten (Zöller/Schultzky, 32. Aufl., ZPO § 172 Rn 17).
Die Schuldnerin kann sich nicht mit Erfolg auf das Erlöschen der Vollmacht berufen. Im Anwaltsprozess sind Zustellungen bis zur Anzeige der Bestellung eines neuen Anwalts weiter an den früheren Bevollmächtigten zu richten (§ 87 ZPO; Zöller/Schultzky, a.a.O., Rn 9). Der Fortbestand der Vollmacht gilt zwar nicht für selbstständige Nebenverfahren, in denen die Partei selbst handeln kann (Zöller/Althammer, a.a.O., Rn 3). Bei der Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO kann die Partei jedoch nicht selbst handeln. Im Vollstreckungsverfahren vor dem Prozessgericht gilt vielmehr der Anwaltszwang (Zöller/Seibel, a.a.O. § 887 Rn 4; § 890 Rn 13). Die Beschwerde ist erst am 29.5.2019 und damit nicht fristgerecht bei Gericht eingegangen.
Keine Zustellung zur Vollziehung
Ohne Erfolg beruft sich die Schuldnerin darauf, Zustellungen zum Zwecke der Vollziehung (§ 929 Abs. 2 ZPO) gehörten nicht zu § 172 Abs. 1 ZPO. Um eine solche Zustellung geht es hier nicht. Es steht keine Vollziehung einer einstweiligen Verfügung in Rede, die grundsätzlich im Parteibetrieb zu erfolgen hat.
Keine Verletzung des Berufsrechts
Die Auslegung des Umfangs der Vollmacht nach § 87 Abs. 1 ZPO verletzt nicht das Recht der Berufsfreiheit des bisherigen Prozessbevollmächtigten der Schuldnerin. Der Fortbestand der Pflicht zur Weiterleitung an den Mandanten mag lästig sein. Der Eingriff ist jedoch zur Sicherstellung der Rechtspflege erforderlich und verhältnismäßig. Dies gilt vor allem, wenn sich die Schuldnerin – wie vorliegend – im Ausland aufhält und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass hinterlegte Schreiben nicht abgeholt wurden. Der Schuldner darf sich der Vollstreckung des Titels nicht entziehen können. Die Interessen des früheren Prozessbevollmächtigten treten insoweit hinter dem Interesse des Gläubigers an der Sicherstellung der Vollstreckung seines Titels zurück. Ob etwas anderes gilt, wenn ein 20 oder 30 Jahre alter Titel vollstreckt werden soll, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
3 Der Praxistipp
Ein alter Schuldnertrick …
Das OLG reagiert auf einen alten Schuldnertrick: Kommt es zur Verurteilung, so wird versucht, die Vollstreckung dadurch zu hindern, dass die Zustellung des Vollstreckungstitels – und aller weiteren Schriftstücke, wie hier des Ordnungsgeldbeschlusses – erschwert wird. Dazu gehört neben dem Wechsel des Aufenthaltsortes ohne ordnungsgemäße Ummeldung auch die Entpflichtung des bisherigen Bevollmächtigten.
Der Rechtsanwalt wird über die Gebühren vergütet
Die Gebühren des Rechtsanwalts gelten nach § 15 Abs. 1 RVG seine gesamte Tätigkeit von der Erteilung des Auftrages bis zu seiner Erledigung ab. Die Weiterleitung von Schriftstücken als Folge der gesetzlichen Regelung zum fiktiven Fortbestehen der Vollmacht bis zur Benennung eines neuen Bevollmächtigten im Sinne des § 87 Abs. 1 ZPO ist aber Teil der Tätigkeit, die eben noch nicht erledigt ist. Deshalb kann sich der RA auch nicht auf einen unzulässigen Eingriff in seine Berufsausübungsfreiheit berufen. Er hat den Auftrag mit den ihm bekannten gesetzlichen Folgen angenommen.
FoVo 6/2020, S. 115 - 117