Leitsatz
1. Ein Titel, der den Schuldner verpflichtet, Zutritt zu einer Stromabnahmestelle zu gewähren und deren Sperrung durch Wegnahme des Stromzählers zu dulden, kann insgesamt nach § 892 ZPO durch Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers (GV) vollstreckt werden.
2. Für eine Hinzuziehung des GV nach § 892 ZPO reicht es aus, wenn der Gläubiger eine dem Schuldner zurechenbare Widerstandshandlung als bevorstehend behauptet. Es ist nicht erforderlich, dass der Gläubiger zu erwartenden Widerstand nachweist oder glaubhaft macht.
3. Im Falle einer ergänzenden Handlungspflicht des Schuldners kann der Widerstand nicht nur in einem aktiven Tun, sondern auch in einem Unterlassen bestehen.
4. Soweit ein Duldungstitel den Schuldner auch dazu verpflichtet, Zutritt zu einem Raum zu gewähren, ist für eine Vollstreckung dieser ergänzenden Handlungspflicht nach § 892 ZPO erforderlich, dass der Schuldner zumindest Mitgewahrsam an diesem Raum hat. Andernfalls richtet sich die Zwangsvollstreckung insoweit nicht gegen ihn und fehlt es an einer Widerstandsleistung des Schuldners i.S.v. § 892 ZPO.
BGH, Beschl. v. 17.6.2021 – I ZB 68/20
1 Der Fall
Titel zur Stromsperre
Die Gläubigerin ist ein Energieversorgungsunternehmen (EVU). Sie betreibt die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil, durch das der Schuldner verurteilt wurde, einem mit einem Ausweis versehenen Mitarbeiter oder Beauftragten der E GmbH als Netzbetreiber Zutritt zur Stromabnahmestelle in der Verbrauchsstelle B-Straße in Eb zu gewähren und die Sperrung der Abnahmestelle durch Hinwegnahme des Stromzählers mit der Nummer … zu dulden.
An der genannten Adresse befindet sich ein Mehrfamilienhaus, in dem der Schuldner eine Wohnung als Mieter bewohnt.
GV wird mit der Durchsetzung beauftragt
Die Gläubigerin hat den GV mit der Durchsetzung der titulierten Verpflichtung beauftragt. Sie hat insbesondere darum gebeten, ihrem Beauftragten Zutritt zum Zähler zu verschaffen und für den Fall, dass der Zutritt nicht möglich ist, verschlossene Türen zu öffnen. Ein Vollstreckungstermin ist ergebnislos verlaufen. Der GV hat der Gläubigerin mitgeteilt, der Schuldner habe erklärt, alle Zähler des Hauses befänden sich in einem Kellerraum, zu dem er keinen Schlüssel habe. Er habe die Zwangsvollstreckung eingestellt, weil der Schuldner weder Mitgewahrsam an diesem Raum noch Zutritt dazu habe.
Gläubigerin geht gegen die verweigerte Mitwirkung vor
Hiergegen hat die Gläubigerin Erinnerung eingelegt und auf einen gesetzlichen Zutrittsanspruch des Schuldners zum Gemeinschaftszählerraum verwiesen. Der GV hat der Erinnerung nicht abgeholfen und zur Begründung ausgeführt, die Vollstreckung sei ihm mit Blick auf den bezüglich des Zählerstandorts unbestimmten Titel und die zudem nicht titulierte Verpflichtung Dritter zur Zutrittsgewährung nicht möglich. Das AG hat die Erinnerung zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde blieb erfolglos.
2 II. Die Entscheidung
BGH sieht nicht alle Voraussetzungen für ein Eingreifen des GV erfüllt
Das von der Gläubigerin gegen den Schuldner erwirkte Versäumnisurteil fällt als Duldungstitel in den Anwendungsbereich des § 892 ZPO.
Im Wortlaut: § 892 ZPO – Widerstand des Schuldners
Leistet der Schuldner Widerstand gegen die Vornahme einer Handlung, die er nach den Vorschriften der §§ 887, 890 zu dulden hat, so kann der Gläubiger zur Beseitigung des Widerstandes einen Gerichtsvollzieher zuziehen, der nach den Vorschriften des § 758 Abs. 3 und des § 759 zu verfahren hat.
Es begründet eine ergänzende Handlungspflicht des Schuldners, Zutritt zu den Gemeinschaftsräumen des von ihm bewohnten Mehrfamilienhauses zu gewähren. Die Voraussetzungen für eine Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers nach § 892 ZPO sind im Streitfall erfüllt gewesen. Der GV hat die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner jedoch zu Recht eingestellt, weil die Gläubigerin den erforderlichen (Mit-)Gewahrsam des Schuldners an dem verschlossenen Kellerraum, in dem sich die Zähler für alle Wohnungen des Mehrfamilienhauses nach seinen Angaben befinden, noch nicht einmal behauptet hat.
Grundsatz: Es liegt ein Duldungstitel vor
Das LG ist zutreffend von einer Duldungsverpflichtung des Schuldners ausgegangen, die die Gläubigerin wahlweise nach § 890 ZPO oder nach § 892 ZPO vollstrecken kann. Dem steht nicht entgegen, dass der Titel den Schuldner auch zur Vornahme ergänzender Handlungen verpflichtet. Bei der gegen den Schuldner titulierten Verpflichtung, Zutritt zu einer Stromabnahmestelle zu gewähren und deren Sperrung durch Wegnahme des Stromzählers zu dulden, handelt es sich um eine Verpflichtung zur Duldung einer Handlung i.S.d. § 890 ZPO.
Duldung kann auch aktives Tun erfordern
Die Verurteilung zu einer Duldung kann die nach § 890 ZPO vollstreckbare Verpflichtung zu einem positiven Tun enthalten, auch wenn das im Urteil nicht ausdrücklich ausgesprochen worden ist. Dies kann anzunehmen sein, wenn der Schuldner der Pflicht, etwas zu dulden, nur gerecht werden kann, indem er daneben auch die positiven Handlungen vornimmt, die notwendig sind, um den rechtmäßigen Zustand zu er...