Leitsatz
Um eine gerichtliche Entscheidung im Vollstreckungsverfahren mit dem Begehren einer einstweiligen Anordnung im verfassungsrechtlichen Eilrechtsschutz anzugreifen, muss hinreichend konkret die Möglichkeit der Verletzung eigener Verfassungsrechte dargelegt werden. Die Benennung eines Rechtes und die bloße Behauptung von dessen Verletzung genügen nicht.
VerfGH Berlin, Beschl. v. 15.11.2023 – 106 A/23
1 Der Fall
Einstweiliger Rechtsschutz gegen Kellerräumung
Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wendet sich die Antragstellerin gegen einen Beschluss des AG, mit dem ihr Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO betreffend die Räumung von Kellerräumen zurückgewiesen wurde.
2 II. Die Entscheidung
Strenge Maßstäbe bei der verfassungsrechtlichen Kontrolle
Der Antrag hat keinen Erfolg. Nach § 31 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof (VerfGHG) kann der Verfassungsgerichtshof im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
Wegen der meist weitreichenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslösen kann, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 VerfGHG ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei müssen die Gründe, welche für oder gegen die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme sprechen, grundsätzlich außer Betracht bleiben, es sei denn, das Ergebnis der Verfassungsbeschwerde liegt auf der Hand, weil sie offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist.
Konkreter statt abstrakter Tatsachenvortrag ist erforderlich
Bei Anwendung dieser Maßstäbe hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegend keinen Erfolg. Die Verfassungsbeschwerde ist derzeit offensichtlich unzulässig.
§ 49 Abs. 1 und § 50 VerfGHG erfordern, dass der Beschwerdeführende hinreichend deutlich die konkrete Möglichkeit darlegt, er könne durch die beanstandete Maßnahme der öffentlichen Gewalt des Landes in einem seiner in der Landesverfassung enthaltenen Rechte verletzt sein. Dabei genügt es nicht, ein solches Recht nur zu nennen und pauschal dessen Verletzung zu behaupten. Der Lebenssachverhalt, aus dem die vermeintliche Verletzung eines subjektiven Rechts hergeleitet wird, ist vielmehr aus sich heraus verständlich wiederzugeben und die ursächliche Verknüpfung zwischen dem beanstandeten Verhalten des Hoheitsträgers und dem geltend gemachten Rechtsnachteil konkret und nachvollziehbar darzulegen. Ausführungen, aus denen sich kein geschlossener Geschehensablauf ergibt, genügen ebenso wenig wie pauschale Hinweise auf Anlagen.
Enger Prüfungsmaßstab bei gerichtlichen Entscheidungen
Wird eine Gerichtsentscheidung angefochten, hat sich die Darlegung daran auszurichten, dass der VerfGH die Entscheidung lediglich auf solche Auslegungs- und Anwendungsfehler überprüft, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite des als verletzt bezeichneten Grundrechts beruhen. Daneben muss der Beschwerdeführende das Vorliegen aller Sachentscheidungsvoraussetzungen und den Verstoß gegen eines seiner Rechte aus der Landesverfassung schlüssig vortragen. Hat der VerfGH für bestimmte Fragen bereits verfassungsrechtliche Maßstäbe entwickelt, muss anhand dieser Maßstäbe aufgezeigt werden, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme Grundrechte verletzt werden (vgl. zum Bundesrecht: BVerfG, 22.1.2014 – 1 BvR 891/13). Diesen Anforderungen genügt der bisherige Vortrag der Antragstellerin nicht.
Alle Unterlagen sind vorzulegen
Es fehlt bereits an einer nachvollziehbaren Darstellung des Sachverhalts, die den VerfGH in die Lage versetzt, den Sachverhalt vollständig zu würdigen. Die Antragstellerin legt schon nicht alle Unterlagen vor, die zur Würdigung erforderlich wären. So hat die Antragstellerin etwa das Versäumnisurteil des AG vom 22.5.2023, auf Grundlage dessen die verfahrensgegenständliche Räumung der Kellerräume betrieben wird, nicht zur Akte gereicht. Es bleibt nach dem Vortrag der Antragstellerin auch offen, ob das AG bereits über ihren gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Einspruchsfrist und den damit verbundenen Einspruch gegen das Versäumnisurteil entschieden hat.
Zentral: Erschöpfung des Rechtsweges
Des Weiteren hat die Antragstellerin weder hinreichend dargelegt, dass sie vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde bereits den Rechtsweg gem. § 49 Abs. 2 S. 1 VerfGHG erschöpft hat (vgl. § 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. § 793 ZPO), noch dass die Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist oder aber der Antragstellerin ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls sie zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde. So fehlt es einerseits an konkretem und nachvollziehbarem Vortrag der Antragstellerin zu dem Stand des Beschwerdeverfahrens, etwa ob das AG der sofortigen Beschwerde gegen den angegriffenen Beschluss zwischenzeitlich abgeholf...