BGH bestätigt Gläubiger in seinem Vorgehen
Der Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid ist aufgrund der vom Beklagten unter dem 17.1.2018 abgegebenen und an das AG gerichteten Verzichtserklärung unzulässig.
Ein Rechtsbehelfsverzicht ist anzunehmen, wenn in der Verzichtserklärung klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck kommt, die Entscheidung endgültig hinnehmen und nicht anfechten zu wollen (BGH, 5.9.2006 – VI ZB 65/05, NJW 2006, 3498 Rn 8 und 24.10.2017 – X ARZ 326/17, NJW-RR 2018, 250 Rn 12). Inhalt und Tragweite eines gegenüber dem Gericht erklärten Rechtsbehelfsverzichts sind danach zu beurteilen, wie die Verzichtserklärung bei objektiver Betrachtung zu verstehen ist; ein davon abweichender innerer Wille des Handelnden ist unbeachtlich (vgl. BGH, 25.6.1986 – IVb ZB 75/85, NJW-RR 1986, 1327, 1328 und 7.11.1989 – VI ZB 25/89, NJW 1990, 1118).
Verzichtserklärung war eindeutig
Gemessen an diesen Grundsätzen kann nicht zweifelhaft sein, dass der Beklagte mit seiner von ihm unterschriebenen und unter Angabe der Geschäftsnummer an das Zentrale Mahngericht gerichteten Erklärung, in der die Streitparteien mit voller Namensnennung zutreffend bezeichnet sind und die in Fettdruck mit "Widerspruchsrücknahme zum Mahnbescheid" sowie "Verzicht auf Einspruch gegen den noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid" überschrieben ist, im Voraus den Verzicht auf das Recht zur Einspruchseinlegung gegen den – dann am 20.2.2018 erlassenen – Vollstreckungsbescheid erklärt hat. Es handelt sich um einen klaren und eindeutigen Rechtsbehelfsverzicht (vgl. BGH, Beschl. v. 7.11.1989, 5.9.2006 und vom 24.10.2017, jew. a.a.O.).
Da ein abweichender innerer Wille des Handelnden für die Auslegung einer solchen Erklärung unbeachtlich ist, ist es nicht von Belang, dass der Beklagte sich über Bedeutung und Tragweite eines Rechtsmittelverzichts nicht im Klaren gewesen sein will. Dies gilt insbesondere auch unter Berücksichtigung seines Vorbringens, er habe mangels Gerichtserfahrung die Unwiderruflichkeit und Endgültigkeit des Verzichts nicht zutreffend erfasst, weil er Rentner und nicht juristisch vorgebildet, zum Zeitpunkt der Abgabe der von der Klägerin vorformulierten Erklärung nicht anwaltlich vertreten gewesen und zuvor (mehrfach) von einem Mitarbeiter der Klägerin zuhause an der Haustür aufgesucht worden sei, und er habe eine Erklärung in diesem Sinne, wie die kurz danach erfolgte Einspruchseinlegung zeige, offenbar nicht abgeben wollen.
Wirksame Verzichtserklärung
Die Verzichtserklärung ist wirksam. Ein gegenüber dem Gericht erklärter Rechtsbehelfsverzicht stellt eine einseitige Prozesshandlung dar. Er ist nicht nach bürgerlichem Recht wegen Willensmängeln anfechtbar (vgl. BGH, 14.6.1967 – IV ZR 21/66, NJW 1968, 794, 795; BGH, 8.5.1985 – IVb ZB 56/84, NJW 1985, 2334 f., 7.11.1989 a.a.O. und 16.12.1992 – XII ZB 144/92, JR 1994, 21 f; Toussaint, in: BeckOK-ZPO, § 346 Rn 4 [Stand: 1.12.2020]). Ebenso wenig dürfen auf ihn die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen die guten Sitten zur Anwendung gebracht werden (vgl. RGZ 162, 65, 67 f). Ein Rechtsbehelfsverzicht ist auch grundsätzlich nicht widerrufbar (BGH, 7.11.1989 a.a.O.; Wulf, in: BeckOK-ZPO, § 515 Rn 7 [Stand: 1.12.2020]). Das folgt daraus, dass seine Wirksamkeit allein nach den Maßstäben des Verfahrensrechts zu beurteilen ist und dieses eine Vorschrift, die – wie etwa § 290 ZPO für das prozessuale Geständnis – unter besonderen Voraussetzungen einen Widerruf zulässt, nicht kennt (BGH, 8.5.1985 a.a.O.; Wulf a.a.O. Rn 8). Nach anerkannter Rechtsauffassung kann eine Prozesshandlung im anhängigen Rechtsstreit nur widerrufen werden, wenn ein Restitutionsgrund nach § 580 ZPO vorliegt. Daneben kann ein Verstoß gegen das – auch im Verfahrensrecht geltende (vgl. BGH, 20.11.1952 – IV ZR 204/52, LM Nr. 3 zu § 514 ZPO) – Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) in Betracht kommen.
Kein materiell-rechtliches Widerrufsrecht
Dies zugrunde gelegt, ist die vom Beklagten abgegebene Verzichtserklärung bindend. So kommt – anders als die Revision meint, welche auf die §§ 312b, 312g und 355 BGB rekurriert – die Zubilligung eines Widerrufsrechts in entsprechender Anwendung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften nicht in Frage. Ein Restitutionsgrund nach § 580 ZPO kann nach den tatsächlichen, von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht angenommen werden. Hinreichende Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB sind gleichfalls nicht ersichtlich.
Dies gilt insbesondere auch, soweit das AG festgestellt hat, es gehöre offenbar zum Geschäftsmodell der Klägerin, Kunden zur Rücknahme eines gegen einen Mahnbescheid erhobenen Widerspruchs und zum Verzicht auf den Einspruch gegen einen noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid zu veranlassen. Ein solches Gebaren ist zwar im Ausgangspunkt bedenklich, begründet aber ohne nähere Darlegung der Umstände, unter denen die Erklärung des Beklagten zustande gekommen ist, allein noch kei...