Leitsatz
Der Widerspruch des Schuldners gegen die Anordnung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung darf nicht zurückgewiesen werden, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist und noch andauert, selbst wenn die Eröffnung erst nach Erhebung des Widerspruchs erfolgt ist.
BGH, 17.4.2013 – IX ZB 300/11
1 I. Der Fall
Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung. Die Schuldnerin gab im August 2010 durch den im Handelsregister nicht mehr eingetragenen Geschäftsführer die eidesstattliche Versicherung ab. Im November 2010 beantragte die Gläubigerin, die Schuldnerin möge durch ihren im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer die eidesstattliche Versicherung abgeben. Im Termin am 4.1.2011 bestritt die Schuldnerin ihre Verpflichtung zur erneuten Abgabe der eidesstattlichen Versicherung; am 7.2.2011 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet.
Durch Beschl. v. 9.3.2011 hat das Vollstreckungsgericht ohne Kenntnis von der Insolvenzeröffnung den Widerspruch der Schuldnerin für berechtigt erklärt. Das Rechtsmittel der Gläubigerin blieb ohne Erfolg. Zwar sei die Schuldnerin am 4.1. zur Abgabe verpflichtet gewesen, wegen der beachtlichen zwischenzeitlichen Insolvenz aber nicht mehr zum Entscheidungszeitpunkt, § 89 Abs. 1 InsO.
2 II. Die Entscheidung
Das Verfahren war durch die Insolvenzeröffnung nicht gemäß § 240 ZPO unterbrochen (BGH WM 2012, 1307).
BGH folgt den Vorinstanzen
Zutreffend hat das LG die Begründetheit des Widerspruchs der Schuldnerin gegen die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bezogen auf den Zeitpunkt seiner neu zu treffenden Entscheidung geprüft, denn die Beschwerdeinstanz ist eine vollwertige zweite Tatsacheninstanz (BGH NJW 2010, 1002). Auf dieser tatsächlichen Grundlage hat das LG den Widerspruch der Schuldnerin gegen ihre Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Offenbarungsversicherung nach §§ 807, 899 ff ZPO mit Recht als begründet erachtet. Denn seit der nach Erhebung des Widerspruchs erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin ist gemäß § 89 Abs. 1 InsO die Zwangsvollstreckung für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens unzulässig, weil das vorgenannte Verbot von Zwangsvollstreckungen auch für das Verfahren der eidesstattlichen Offenbarungsversicherung gilt. Rechtlich unerheblich ist es, ob der Antrag auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vor oder nach Insolvenzeröffnung gestellt worden ist und wann der Schuldner der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung widersprochen hat.
Insolvenzeröffnung ist von Amts wegen zu berücksichtigen
Die Gläubigerin kann sich nicht darauf berufen, ihre Beschwerde habe nicht die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zum Gegenstand gehabt, sondern allein die Frage, ob die Schuldnerin am 4.1.2011 die eidesstattliche Versicherung hätte verweigern dürfen, was nicht der Fall war. Bei dem Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO handelt es sich um ein erst nach dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung entstandenes Vollstreckungshindernis (BGH WM 2011, 841), das als solches im Vollstreckungsverfahren von Amts wegen zu beachten ist (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 900 Rn 7). Dies gilt in gleicher Weise für das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht wie für das LG (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, a.a.O. Rn 50; Prütting/Gehrlein/Olzen, ZPO, 4. Aufl., § 900 Rn 64).
3 III. Der Praxistipp
Entscheidung bleibt aktuell
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes bleibt aktuell. Zwar hat der Gesetzgeber mit der Reform der Sachaufklärung das Widerspruchsverfahren in § 900 Abs. 4 ZPO gestrichen und auch nicht anderweitig aufgegriffen. Das bedeutet aber nicht, dass der Schuldner nicht mehr gegen die Abnahme der Vermögensauskunft vorgehen kann. Vielmehr ist er nun nur gezwungen im Wege der Erinnerung nach § 766 ZPO – mangels aufschiebender Wirkung ggf. in Kombination mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nach §§ 766 Abs. 1 S. 2, 732 Abs. 2 ZPO – vorzugehen.
Kampf gegen Windmühlen
Der Gläubiger hätte sich vorliegend den Aufwand für das Rechtsmittelverfahren in zeitlicher und kostenmäßiger Hinsicht ersparen können. Mit dem Insolvenzeröffnungsantrag musste die Schuldnerin eine Vermögensauskunft vorlegen. Der Gläubiger hätte also seine Forderung zur Insolvenztabelle anmelden und nachfolgend durch ein Akteneinsichtsgesuch nach §$ 4 InsO i.V.m. 299 ZPO in die Insolvenzakte Einsicht nehmen können. Das hätte ihm die notwendigen Erkenntnisse vermittelt.
Nutzen Sie die Einsicht zu Ihrem Vorteil!
Die Einsichtnahme in das Vermögensverzeichnis kann trotz des eröffneten Insolvenzverfahrens sinnvoll sein. Zum einen können daraus Erkenntnisse gewonnen werden, ob die Vollstreckungsforderung ggf. auch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung angemeldet werden kann. Gerade bei juristischen Personen – wie im Fall des BGH – können aber auch Informationen über mögliche Handlungen der Geschäftsführer ersichtlich werden, die deren persönliche Haftung begründen...