Einstweilige Anordnung als Ausnahmefall
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Hoheitsakte angeführt werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren, hier also die Verfassungsbeschwerde, erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 76, 253; BVerfGE 99, 57; st.Rspr.).
Behauptung schwerwiegender Gesundheitsbeeinträchtigungen ist ernst zu nehmen
Macht der Vollstreckungsschuldner für den Fall einer Zwangsräumung substantiiert ihm drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend, haben sich die Tatsacheninstanzen – beim Fehlen eigener Sachkunde – zur Achtung verfassungsrechtlich verbürgter Rechtspositionen wie in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann (vgl. BVerfG v. 14.12.2023 – 2 BvR 1233/23 m.w.N.).
Maßstab sind (auch) die Grundrechte
Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verpflichtet die Vollstreckungsgerichte, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. Eine unter Beachtung dieser Grundsätze vorgenommene Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen, dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und – in absoluten Ausnahmefällen – auf unbestimmte Zeit einzustellen ist (BVerfG v. 6.7.2016 – 2 BvR 548/16 Rn 11 m.w.N.).
Die Verantwortung liegt beim Vollstreckungsorgan
Die Vollstreckungsgerichte haben in ihrer Verfahrensgestaltung die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgeschlossen werden und der sich aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergebenden Schutzpflicht staatlicher Organe Genüge getan wird (vgl. BVerfGE 52, 214; BVerfGK 6, 5; vgl. BVerfG v. 26.1.2021 – 2 BvR 1786/20 m.w.N.). Es ist Aufgabe der staatlichen Organe, Grundrechtsverletzungen nach Möglichkeit auszuschließen (BVerfG v. 6.7.2016 – 2 BvR 548/16 Rn 12).
Das Gericht hat keine eigene medizinische Sachkunde
In Anbetracht dieser Grundsätze erscheint es jedenfalls nicht fernliegend, dass der angegriffene Beschluss des LG dem Schutz des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht gerecht geworden ist, indem das Gericht ohne weitere Sachaufklärung und ohne eigene dokumentierte Sachkunde davon ausgegangen ist, dass die Schuldnerin zwar nicht die durch eine etwaige Obdachlosigkeit eintretende Verschlechterung der Demenzerkrankung, aber die mit einer Heimunterbringung und dem damit verbundenen Wechsel des Wohnumfelds verbundene Verschlechterung der Demenzerkrankung hinzunehmen habe.
BVerfG macht eine Folgenabwägung
Über den Antrag auf einstweilige Anordnung ist deshalb nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt zugunsten aller Schuldner aus.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, wäre nicht auszuschließen, dass aufgrund der Durchführung der Räumung möglicherweise nicht rückgängig zu machende Folgen für Leib und Leben der Schuldnerin zu 1) einträten. Dies gilt auch für eine Räumung nur der Schuldner zu 2) und/oder 3), weil die Schuldnerin zu 1) nach dem insoweit hinreichend dokumentierten Gesundheitszustand nicht ohne deren Unterstützung in der Wohnung verbleiben kann. Erginge demgegenüber die einstweilige Anordnung, bliebe die Verfassungsbeschwerde aber später ohne Erfolg, so verzögerte sich der Räumungstermin voraussichtlich nur um wenige Monate. Dies wiegt insgesamt weniger schwer als die der Schuldnerin zu 1) drohenden Nachteile.