Schuldner als Mieter im früheren elterlichen Wohnhaus
Der 58 Jahre alte Schuldner bewohnt ein Gebäude mit einer Wohnfläche von 79 m2 auf einem 833 m2 großen Grundstück, das seit 2016 im Eigentum des Gläubigers steht und früher den Eltern des Schuldners gehörte. Der Schuldner verbrachte in dem Haus seine Kindheit und Jugendzeit und kehrte (wohl) 2004 dorthin zurück. Mit seiner Mutter schloss er damals einen Mietvertrag für eine (Nettokalt-)Miete von 500 EUR pro Monat zuzüglich Nebenkosten.
Kündigung wegen Zahlungsverzug und Räumungsurteil
Der Schuldner minderte gegenüber dem Gläubiger die Miete wegen behaupteter Mängel am Haus. Der Gläubiger kündigte daraufhin mehrfach das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs. Der Schuldner wurde zur Räumung des Hauses verurteilt, ohne dass er mit seinen Rechtsmitteln durchdrang.
Räumungsschutzantrag des Schuldners
Einen Antrag auf Räumungsschutz des Schuldners vom 15.5.2020, eingegangen am 10.6.2020, hat das AG zurückgewiesen. Der Schuldner hat unter dem 29.6.2020 einen erneuten Antrag gestellt und zudem sofortige Beschwerde gegen den abweisenden Beschluss des AG eingelegt, worauf das LG die Räumungsvollstreckung einstweilen eingestellt hat.
Der Schuldner macht – neben Mängeln am Haus, der Unwirksamkeit der Kündigungen und Schadensersatzansprüchen gegen den Gläubiger aus anderen Rechtsverhältnissen – vor allem gesundheitliche Beeinträchtigungen geltend. Er hat Atteste seines behandelnden Arztes vorgelegt. Er brauche während der gesamten Nacht und der meisten Zeit des Tages ein Beatmungsgerät und könne das Haus kaum noch verlassen. In psychiatrischer Hinsicht komme eine Depression mit suizidalen Tendenzen hinzu, die sich stetig verschlechtert habe. Eine Zwangsräumung führte angesichts drohender Obdachlosigkeit und Zwangsunterbringung in einer Obdachlosenunterkunft zu einer akuten konkreten Suizidgefahr.
Die Einholung eines schriftlichen neurologisch-psychiatrischen Gutachtens hat schwere körperliche Erkrankungen und eine suizidale Gefährdung, aber auch eine mangelnde Therapiemotivation und sonstige Erfolgsaussicht bestätigt.
Gläubiger sieht fortgesetzten Räumungsanspruch
Der Gläubiger sieht die Voraussetzungen für eine Zwangsräumung weiterhin als erfüllt an. Der Schuldner ignoriere seine Pflichten aus dem Mietvertrag, sei gewalttätig, beschädige die Mietsache, zahle nicht und halte Corona-Schutzmaßnahmen nicht ein. Aus seinen gegenüber Ämtern geäußerten Vorstellungen für eine Alternativunterbringung gehe hervor, dass er nicht auf sein bisheriges Umfeld angewiesen und seine Suiziddrohung vorgeschoben sei. Sämtliche Angebote habe er mit beleidigenden Worten zurückgewiesen. Soweit tatsächlich eine Gesundheits- oder Suizidgefahr bestehen sollte, verweigere er kategorisch die Mitwirkung an Maßnahmen, die zur Verbesserung seines Gesundheitszustands führen könnten. In Betracht komme allenfalls eine Einstellung der Räumungsvollstreckung für sechs Monate verbunden mit der Auflage, sich einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen.
LG gewährt zweijährige (!) Räumungsfrist und sieht lebenslangen Räumungsschutz
Mit Beschluss vom 7.2.2023 hat das LG die Räumungsvollstreckung nach § 765a ZPO bis zum 7.3.2025 einstweilen eingestellt. Zur Überzeugung des LG stehe fest, dass aktuell eine suizidale Handlung des Schuldners im Fall einer Zwangsräumung ernsthaft einkalkuliert werden müsse. Der Suizidgefahr könne nach der überzeugenden Beurteilung des Sachverständigen nicht anders als durch eine Verfahrenseinstellung begegnet werden. Die Durchsetzung von Vermögensinteressen des Gläubigers könne es nicht rechtfertigen, hierfür – wahrscheinlich – den Tod des Schuldners in Kauf zu nehmen. Auch wenn ein Suizid sich als freie Willensentscheidung darstellte, beruhte er auf einer Erkrankung, die praktisch nicht erfolgversprechend behandelt werden könne. Das LG sei sich bewusst, dass dem Schuldner nach dieser Rechtsauffassung wohl bis zu seinem natürlichen Tod immer wieder erneut Vollstreckungsschutz gewährt werden müsse und die Räumungsvollstreckung des Gläubigers letztlich gänzlich vereitelt werden könne, obwohl der Gläubiger keine Verantwortung für die gesundheitliche Lage des Schuldners trage.
Mit der vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger sein Ziel der Zurückweisung des Antrags auf Räumungsschutz weiter.