Leitsatz
Die Verstrickung einer gepfändeten Forderung kann während des Restschuldbefreiungsverfahrens dadurch beseitigt werden, dass das Vollstreckungsgericht die Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (PfÜB) bis zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung aussetzt, ohne die Pfändung insgesamt aufzuheben.
BGH, Beschl. v. 2.12.2021 – IX ZB 10/21
1 Der Fall
Vollstreckung endet erst einmal in der Insolvenz
Die Schuldnerin führt bei der Drittschuldnerin ein Konto als Pfändungsschutzkonto (P-Konto) gemäß § 850k ZPO. Die Gläubigerin erwirkte wegen einer titulierten Forderung am 10.8.2015 einen PfÜB und pfändete das bei der Drittschuldnerin geführte Konto der Schuldnerin. Auf Eigenantrag der Schuldnerin wurde am 11.11.2019 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet. Mit Beschluss vom 10.9.2020 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben und das Ende der Wohlverhaltensperiode auf den 11.11.2025 bestimmt.
Schuldnerin beantragt die Aufhebung der Pfändung ihres Kontos
Die Schuldnerin hat mit Schreiben vom 22.9.2020 bei dem Vollstreckungsgericht die Aufhebung des PfÜB beantragt. Die Rechtspflegerin hat mit Beschluss vom 19.10.2020 den Vollzug des PfÜB bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag der Schuldnerin auf Erteilung der Restschuldbefreiung mit der Maßgabe ausgesetzt, dass die auf dem Konto gutgeschriebenen Beträge weder dem materiell-rechtlichen Pfändungspfandrecht noch der öffentlich-rechtlichen Verstrickung unterliegen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Drittschuldnerin hat das LG zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde will die Drittschuldnerin die Aufhebung des Beschlusses über die Aussetzung der Vollziehung des PfÜB erreichen.
2 II. Aus der Entscheidung
Rechtspflegerin war zur (Teil-)Abhilfe berufen
Die von der Rechtspflegerin des Vollstreckungsgerichts getroffene Aussetzungsentscheidung ist nicht gemäß § 8 Abs. 4 S. 1 RpflG unwirksam. Die Rechtspflegerin hat kein ihr nicht übertragenes Geschäft des Richters wahrgenommen.
Für die Entscheidung über die Vollstreckungserinnerung nach § 766 Abs. 1 S. 1 ZPO ist gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 17 S. 2 RpflG der Richter zuständig. Dem Rechtspfleger steht aber aus Gründen der Selbstkorrektur eine Abhilfebefugnis zu; er kann den von ihm erlassenen PfÜB aufheben. Eine die Erinnerung zurückweisende Entscheidung des Rechtspflegers ist dagegen wegen fehlender funktionaler Zuständigkeit gemäß § 8 Abs. 4 S. 1 RpflG unwirksam. Hält der Rechtspfleger die Erinnerung für teilweise begründet, so hat er ihr im für begründet erachteten Umfang abzuhelfen und im Übrigen die Erinnerung dem Richter zur Entscheidung vorzulegen.
Gemessen hieran ist die Entscheidung der Rechtspflegerin nicht nach § 8 Abs. 4 Satz 1 RpflG unwirksam. Die Rechtspflegerin hat den Antrag der Schuldnerin auf Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht zurückgewiesen.
Ist die Erinnerung des Schuldners auf Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gerichtet, so stellt sich die Entscheidung des Rechtspflegers, (lediglich) die Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses auszusetzen, als ein Minus und damit eine Teilabhilfe dar. Diese Teilabhilfeentscheidung ist – da funktionell dem Rechtspfleger zugewiesen – wirksam. Gibt sich der Schuldner wie im vorliegenden Fall mit der Teilabhilfe zufrieden, so mag der noch offene Teil der Erinnerung des Schuldners keiner oder keiner wirksamen Entscheidung des funktionell zuständigen Richters zugeführt worden sein. Dies ändert aber nichts an der Wirksamkeit der Teilabhilfeentscheidung des Rechtspflegers.
BGH sieht auch im Übrigen keinen – rügbaren – Zuständigkeitsmangel
Der BGH sieht bei der Entscheidung auch nicht das funktionell unzuständige Gericht – Vollstreckungsgericht statt Insolvenzgericht – am Werk. Nach allgemeiner Meinung lebt nämlich nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts gemäß §§ 764 Abs. 1, 828 ZPO für Entscheidungen über Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung wieder auf, weil es für die Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens an einer der Vorschrift des § 89 Abs. 3 InsO vergleichbaren Regelung fehlt.
Hinweis
Der BGH lässt die Frage dahinstehen und muss sich der allgemeinen Meinung gar nicht anschließen. Gemäß § 576 Abs. 2 ZPO kann die Rechtsbeschwerde auf eine etwaige Unzuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts nicht gestützt werden; dies gilt auch für die funktionelle Zuständigkeit.
Ruhendstellung statt Aufhebung ist zur Wahrung der Gläubigerrechte erforderlich
In der Sache hat das LG zutreffend angenommen, dass auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens eine Aussetzung der Vollziehung eines vorinsolvenzlichen PfÜB bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung zur Wahrung der Rechte des Pfändungsgläubigers zulässig und geboten ist.
Während des Insolvenzverfahrens kann die Verstrickung einer vorinsolvenzlich gepfändeten und erst im Lauf des Verfahrens entstehenden Forderung dadurch beseitigt werden, dass die Vollzieh...