Leitsatz
1. Bei der Zwangsvollstreckung zur Erwirkung einer unvertretbaren Handlung gemäß § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO darf gegen eine prozessunfähige natürliche Person, die mangels hinreichender Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht in der Lage ist, einen natürlichen Willen zur Vornahme der von ihr geschuldeten Handlung zu bilden, keine Zwangshaft verhängt werden.
2. Bei der gegen eine prozessunfähige natürliche Person gerichteten Zwangsvollstreckung zur Erwirkung einer unvertretbaren Handlung gemäß § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO darf gegen den Bevollmächtigten des Schuldners keine Zwangshaft verhängt werden.
3. Bei der gegen eine prozessunfähige natürliche Person gerichteten Zwangsvollstreckung zur Erwirkung einer nicht vertretbaren Handlung nach § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO ist ein Zwangsgeld stets gegen den Schuldner und nicht gegen den gesetzlichen Vertreter festzusetzen.
4. Einer prozessunfähigen natürlichen Person ist die Vornahme einer nach § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO zu erwirkenden Handlung nicht unmöglich, wenn die Handlung durch deren Bevollmächtigten vorgenommen werden kann.
BGH, Beschl. v. 23.9.2021 – I ZB 20/21
1 Der Fall kurz zusammengefasst
Titulierte Auskunftspflicht
Die prozessunfähige Schuldnerin ist in der Berufungsinstanz – teilweise abweichend zum erstinstanzlichen Urteil – verurteilt worden, den in einer Erbengemeinschaft verbundenen Gläubigerinnen Auskunft über den Bestand eines Nachlasses durch Vorlage eines Verzeichnisses nach § 260 BGB in privatschriftlicher Form zu erteilen (§ 2314 Abs. 1 S. 1 BGB). Es wurde weiter festgestellt, dass die Gläubigerinnen Inhaberinnen eines näher bezeichneten Pflichtteilsanspruchs und gegebenenfalls Pflichtteilsergänzungsanspruchs gegen die Schuldnerin geworden seien.
Inzwischen prozessunfähige Schuldnerin hat zuvor Generalvollmacht erteilt
Die Schuldnerin ist an Demenz erkrankt und selbst nicht in der Lage, die geschuldete Auskunft zu erteilen. Sie hat ihrer Tochter und einem Dritten (nachfolgend: die Bevollmächtigten) eine notarielle Generalvollmacht erteilt, die diese zur gemeinsamen Vertretung berechtigt.
Antrag auf Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft oder Zwangshaft
Die Gläubigerinnen haben beantragt, zur Erzwingung der Auskunftsverpflichtung gegen die Schuldnerin ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, oder Zwangshaft festzusetzen. Das LG hat den Antrag zurückgewiesen. Mit der dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde haben die Gläubigerinnen weiter beantragt, hilfsweise gegen die Bevollmächtigten ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, oder Zwangshaft festzusetzen. Auf die sofortige Beschwerde hat das OLG den Beschluss des LG abgeändert und gegen die Schuldnerin zur Erfüllung der Verpflichtung ein Zwangsgeld in Höhe von 15.000 EUR festgesetzt und die sofortige Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen (OLG Hamburg NJW-RR 2021, 572). Mit der vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Gläubigerinnen beantragen, erstrebt die Schuldnerin die Zurückweisung der Zwangsmittelanträge. Für den Fall, dass der Antrag auf Zurückweisung der Rechtsbeschwerde keinen Erfolg hat, haben die Gläubigerinnen hilfsweise Anschlussrechtsbeschwerde erhoben, mit der sie ihren Hilfsantrag auf Festsetzung von Zwangsmitteln gegen die Bevollmächtigten weiterverfolgen.
2 II. Die Grundsätze der Entscheidung
BGH: Vollstreckung wegen einer unvertretbaren Handlung
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Zwar ist der auf Vornahme einer unvertretbaren Handlung i.S.d. § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO gerichtete Zwangsmittelantrag zulässig. Jedoch hat das OLG die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
Die Zwangsvollstreckung findet im Streitfall nach § 888 ZPO statt, weil sie auf die Vornahme einer unvertretbaren Handlung gerichtet ist.
Hinweis
Kann eine Handlung durch einen Dritten nicht vorgenommen werden, so ist, wenn sie ausschließlich von dem Willen des Schuldners abhängt, gemäß § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO auf Antrag des Gläubigers von dem Prozessgericht des ersten Rechtszugs zu erkennen, dass der Schuldner zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, durch Zwangshaft oder durch Zwangshaft anzuhalten sei.
Die Verurteilung des Erben zur Erteilung einer Auskunft über den Bestand des Nachlasses des Erblassers durch Vorlage eines Verzeichnisses der Nachlassgegenstände gemäß §§ 2314 Abs. 1 S. 1, 260 BGB ist als Verurteilung zur Vornahme einer nicht vertretbaren Handlung gemäß § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO durch Androhung von Zwangsmitteln zu vollstrecken (vgl. BGH NJW 2019, 231).
Der Antrag ist nicht wegen der Prozessunfähigkeit unzulässig
Der Zwangsmittelantrag ist zulässig. Dem steht nicht eine Parteiunfähigkeit auf Gläubigerseite oder die Prozessunfähigkeit der Schuldnerin entgegen.
Für das Zwangsvollstreckungsverfahren nach §§ 704 ff. ZPO gelten neben den dortigen spezifischen Verfahrensvorschriften auch die allgemeinen prozessualen Regelungen in den §§ 1 bis 252 ZPO sinngemäß. Dies gilt insbesondere für die Vorschriften über die Parteien gemäß §§ 50 bis 58 ZPO (vgl. BGH NJW 2020, 1143). Diese Voraussetzungen ...