Mit der Aufhebung oder Aussetzung der Vollstreckbarkeit einer ausländischen Entscheidung im Ursprungsstaat fehlt eine nach der EuGVVO anzuerkennende Entscheidung. Ob die Entscheidung des Ursprungsstaats für einen begrenzten Zeitraum vollstreckbar war und ob eine Aufhebung oder Aussetzung der Vollstreckbarkeit dort ex tunc oder nur ex nunc wirkt, ist unerheblich. Eine nicht rechtskräftige Entscheidung eines ausländischen Gerichts, deren Vollstreckbarkeit im Berufungsverfahren ausgesetzt wurde, kann daher im Verfahren der Beschwerde gegen die Vollstreckbarerklärung nicht zeitlich begrenzt zur Vollstreckung zugelassen werden.
BGH, 11.3.2010– IX ZB 94/07
I. Der Fall
Zahlungstitel aus Italien soll in Deutschland vollstreckt werden
Die Gläubigerin erhob im Jahr 1998 in Italien Zahlungsklage gegen die Schuldnerin. Mit einem am 6.9.2005 für vollstreckbar erklärten, nicht rechtskräftigen Urteil vom 2.5.2005 verurteilte der Tribunale civile di Prato die Schuldnerin zur Zahlung. Auf Antrag der Gläubigerin hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des LG dieses Urteil mit Beschluss vom 30.3.2006 für vollstreckbar erklärt. Hiergegen hat die Schuldnerin Beschwerde eingelegt.
Corte d'Appello di Firenze setzt Vollstreckbarkeit aus
Auf Beschwerde der Schuldnerin setzte die Corte d'Appello di Firenze am 29.5./5.7.2006 die Vollstreckung des angefochtenen Urteils des Tribunale civile di Prato aus (Art. 283 c.p.c.). Termin zur Verhandlung über die Berufung der Schuldnerin vor der Corte d'Appello di Firenze ist auf den 9.11.2011 bestimmt. Zwischenzeitlich war auf Antrag der Gläubigerin durch das AG Auerbach eine Kontenpfändung ausgebracht worden. Am 24.4.2007 hat das OLG die Entscheidung des LG vom 30.3.2006 geändert und das Urteil des Tribunale civile di Prato für die Zeit bis zum 28.5.2006 zur Vollstreckung zugelassen. Danach sei das Urteil wegen der Aussetzung der Vollstreckung oder Aufhebung der Vollstreckbarkeit in Italien nicht mehr vollstreckbar. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II. Die Entscheidung
BGH bejaht grundsätzliche Bedeutung
Das gemäß § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist zulässig, weil die Frage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), ob ein nicht rechtskräftiges ausländisches Urteil, dessen Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat ausgesetzt oder aufgehoben worden ist, für einen begrenzten Zeitraum für vollstreckbar erklärt werden kann.
Vollstreckung setzt vollstreckbare Entscheidung voraus
Mit der Aufhebung oder Aussetzung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat fehlt eine nach der EuGVVO anzuerkennende Entscheidung (Art. 38 Abs. 1 EuGVVO). Auch für eine bloße Sicherungsvollstreckung ist Voraussetzung, dass im Urteilsstaat eine vollstreckbare Entscheidung vorliegt. Ob die dortige Entscheidung für einen begrenzten Zeitraum vollstreckbar war und ob eine Aufhebung der Vollstreckbarkeit dort ex nunc oder ex tunc wirkt, ist unerheblich. Entfällt während des Beschwerdeverfahrens die Vollstreckbarkeit der Entscheidung, so ist dies – wie auch sonst im Vollstreckbarerklärungsverfahren (vgl. BGHZ 171, 310; BGH NJW 1980, 2022) – uneingeschränkt zu berücksichtigen. Die Frage, ob aus der Entscheidung im Urteilsstaat für einen begrenzten Zeitraum hätte vollstreckt werden können, hat hiermit nichts zu tun. Ein „Gleichlauf“ der vorläufigen Vollstreckbarkeit im Urteilsstaat und im Inland, wie ihn sich das Beschwerdegericht vorstellt, kommt wegen des Wegfalls der Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung nicht in Frage.
Argumentation aus dem AVAG
Diese Sichtweise gebietet auch § 27 AVAG. Nach dieser Vorschrift kann der Schuldner die Aufhebung oder Änderung der Zulassung der Vollstreckung in einem besonderen Verfahren geltend machen, wenn der Titel in dem Staat, in dem er errichtet worden ist, aufgehoben oder geändert wird. Hieraus folgt, dass sogar die nachträgliche Aufhebung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat zu beachten ist und bereits erfolgte Vollstreckungsmaßnahmen aufzuheben sind (§ 27 Abs. 5 AVAG). Wenn für die Zeit nach Beendigung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens ein Rechtsbehelf zur Verfügung steht, mit dem nachträgliche Veränderungen der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat zu berücksichtigen sind, muss dies erst recht für die Änderung der Vollstreckbarkeit während des laufenden Vollstreckbarerklärungsverfahrens gelten. Sicherungsmaßnahmen sind nach Art. 47 Abs. 3 EuGVVO ausdrücklich auf die Zeit bis zum Erlass der Entscheidung des Beschwerdegerichts beschränkt. Bestätigt das Beschwerdegericht die Vollstreckbarerklärung nicht, dürfen auch keine vorläufigen Sicherungsmaßnahmen mehr aufrechterhalten werden. Die Vollstreckbarkeit entfällt in vollem Umfang.
III. Der Praxistipp
Internationale Vollstreckung nimmt zu
Vollstreckungen mit internationalem Bezug nehmen erheblich zu. Insoweit vollzieht das Vollstreckungsrecht nach, was in Wirtschaft und Gesellschaft lange zum Alltag gehört. Inzwischen können sich die Wirtschaftsteilnehmer auch nicht meh...