Leitsatz
Zahlt der Schuldner keine Miete, ist die fiktive Miete in Höhe des im Pfändungsfreibetrag enthaltenen Anteils von 296,55 EUR als zusätzliches Einkommen zu behandeln.
AG Tostedt, Beschl. v. 23.11.2020 – 9 M 3914/20
1 Der Fall
Schuldner zahlt keine Miete – Gläubiger will geringeren Pfändungsfreibetrag
Mit Schreiben vom 7.10.2020 bzw. vom 16.11.2020 wurde durch Gläubigerseite beantragt, die im Pfändungsfreibetrag gemäß § 850c ZPO für die Unterkunft berücksichtigten Beträge in Höhe von 296,55 EUR unberücksichtigt zu lassen, weil der Schuldner tatsächlich keine Kaltmiete zahlt. Dieses hat die Gläubigerin durch Vorlage des Vermögensverzeichnisses des Schuldners vom 14.1.2020 (DR II 955/19) glaubhaft gemacht. In diesem wurde durch den Schuldner auf Seite 4 unter Buchstabe k) angegeben, dass keinerlei Miete gezahlt werde.
2 II. Die Entscheidung
Gesetzgeber hat Miete in den Freibetrag eingerechnet
Dem Antrag der Gläubigerin war nach Anhörung des Schuldners zu entsprechen. Zutreffend ist, dass entsprechend der Gesetzesbegründung vom 17.8.2001, BT- Drucks 14/6812, in die Kalkulation des nach § 850c ZPO festgelegten unpfändbaren Betrages eine zu berücksichtigende Kaltmiete von umgerechnet 296,55 EUR einbezogen wurde. Diese zahlt der Schuldner nach eigenen Angaben tatsächlich nicht.
Nicht gezahlte Miete gilt als zusätzliches Einkommen
Er ist daher so zu behandeln, als stünde ihm dieser Betrag zusätzlich zu seinem Einkommen zur Verfügung. Der Betrag von 296,55 EUR ist daher dem ermittelten Nettoeinkommen des Schuldners wie ein fiktives Einkommen durch die Drittschuldnerin hinzuzurechnen, danach ist dann das pfändbare Einkommen des Schuldners zu ermitteln und der pfändbare Betrag an die Gläubigerin auszukehren.
3 Der Praxistipp
Pfändungsfreibetrag als Warenkorb
Der Pfändungsfreibetrag ist nicht willkürlich gewählt, sondern hinter ihm steht das Bedürfnis sicherzustellen, dass der Schuldner seinen Lebensunterhalt aus seinem Arbeitseinkommen bestreiten kann, ohne dabei von Pfändungen beeinträchtigt zu werden.
In den Gesetzesbegründungen zu der Anpassung der Pfändungsfreibeträge hieß es deshalb regelmäßig: "Die Beträge berücksichtigen die aktuellen Entwicklungen des Bedarfs für das Existenzminimum, die sich aus der Gesamtschau der Entwicklung der Lebenshaltungskosten und des durchschnittlichen Sozialhilfebedarfs des Schuldners (Regelsatz, Mehrbedarfszuschläge und einmalige Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz) einschließlich der Wohnraumkosten ableiten" (BT-Drucks 12/1754, S. 17)
Auch bei der Einführung des § 850c ZPO in der heutigen Fassung, d.h. mit der Dynamisierung, wurde auf diese Aspekte dezidiert abgestellt (BT-Drucks 14/6812, S. 8 ff.).
Das muss der Gläubiger tun
Der Gläubiger muss deshalb der Frage nachgehen, ob der Schuldner tatsächlich Miete zahlt. Ist dies nicht der Fall, so kann der Pfändungsfreibetrag korrigiert werden. Das hat schon das AG Wuppertal entschieden (14.2.2020 – 44 M 7876/19).
Aus der Erkenntnis können sich dann unterschiedliche Berechnungsweisen für den Pfändungsfreibetrag ergeben. Damit hat sich die FoVo schon einmal beschäftigt (vgl. FoVo 12/2020, 224).
Folgt man dem AG Tostedt, so sind das tatsächliche Einkommen sowie die nicht gezahlte Miete bis zu einem maximalen Betrag von 296,55 EUR zusammenzurechnen. Diesen Antrag hat der Gläubiger an das Vollstreckungsgericht zu richten, sofern der Drittschuldner dies nicht von sich aus berücksichtigt.
Beispiel
Der Schuldner hat einen Nettolohn von 1.163,44 EUR, bei dem sich kein pfändbarer Betrag ergibt. Allerdings muss er keine Miete zahlen. Nach dem AG Tostedt wäre wie folgt zu rechnen:
Nettolohn |
1.163,44 EUR |
Pfändbar nach § 850c ZPO |
0,00 EUR |
zuzüglich ersparter Miete |
296,55 EUR |
Gesamt netto |
1.459,99 EUR |
Gerundet (§ 850c Abs. 5 n.F.) |
1.450,00 EUR |
Pfändbar nach Tabelle zu § 850c ZPO bis 30.6.2021 |
189,99 EUR |
Pfändbar nach der Bekanntmachung zu § 850c ab 1.7.2021 |
138,15 EUR |
Der Gläubiger kann also im Beispielsfall einen nachhaltigen monatlichen Ertrag von 138,15 EUR erzielen.
FoVo 9/2021, S. 171 - 172