Leitsatz
Ohne ausdrücklich formulierte begründete Zweifel darf der Gerichtsvollzieher bei der elektronischen Antragstellung die Vorlage des Vollstreckungsbescheides nicht verlangen.
AG Kassel, Beschl. v. 28.7.2017 – 630 M 546/17
1 I. Der Fall
Elektronischer Vollstreckungsauftrag
Für den Gläubiger beauftragte die Inkassounternehmerin aufgrund einer bestehenden Vollmacht mit Antrag vom 16.6.2017 per Governikus den GV mit der Durchführung eines Vollstreckungsverfahrens gegen den Schuldner. Beigefügt war neben einer digital übersendeten Kopie des zugrunde liegenden Vollstreckungsbescheides des AG Hünfeld vom 16.3.2017 auch eine Erklärung der Inkassounternehmerin, dass sie versichere, dass sie in Besitz der Original-Ausfertigung des zugrunde liegenden Vollstreckungsbescheides ist, dass sich aus dem Vollstreckungsbescheid ergibt, dass dieser dem Schuldner zugestellt wurde und die Forderung entsprechend der im Vollstreckungsauftrag aufgeführten Beträge besteht.
Oldschool: GV verlangt Vollstreckungsbescheid im Original
Der zuständige Gerichtsvollzieher verweigerte eine Durchführung des Vollstreckungsauftrages unter Verweis auf § 754a Abs. 2 ZPO. Er erhob sodann mit der Kostenrechnung insgesamt 21,60 EUR für eine nicht erledigte Zustellung (3,00 EUR KV 600 GvKostG), eine nicht erledigte Amtshandlung (15,00 EUR KV 604 GvKostG) und für die Auslagenpauschale (3,60 EUR KV 716 GvKostG).
Hiergegen wendet sich der Gläubiger im Wege der Erinnerung nach § 766 ZPO mit Schriftsatz vom 17.7.2017 über seinen Bevollmächtigten mit dem Ziel, dass der Gerichtsvollzieher den Zwangsvollstreckungsauftrag entsprechend ausführt und die geltend gemachten Kosten aus der Kostenrechnung vom 26.6.2017 nicht erhebt.
Der Gerichtsvollzieher hat unter Hinweis auf § 754a Abs. 2 ZPO der Erinnerung nicht abgeholfen und die Akte dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
2 II. Die Entscheidung
Gläubiger kann Widerstände überwinden
Die zulässige Erinnerung hat Erfolg. Dem Vollstreckungsgericht steht nach § 766 Abs. 2 ZPO die Entscheidung zu, wenn ein Gerichtsvollzieher sich weigert, einen Vollstreckungsauftrag zu übernehmen oder eine Vollstreckungshandlung dem Auftrag gemäß auszuführen. Gleiches gilt, wenn gegen die von dem Gerichtsvollzieher in Ansatz gebrachten Kosten Erinnerung erhoben wird. Vorliegend bestand kein hinreichender Grund des Gerichtsvollziehers, den Vollstreckungsauftrag zurückzuweisen.
Alle Voraussetzungen der elektronischen Antragstellung waren erfüllt
Gemäß § 754a Abs. 1 ZPO besteht die Möglichkeit eines vereinfachten Vollstreckungsverfahrens im Falle des Vorliegens eines Vollstreckungsbescheides. Hierbei ist es dem Gläubiger möglich, den Vollstreckungsauftrag elektronisch – ohne Titel im Original – einzureichen. Voraussetzung ist, dass
- die sich aus dem Vollstreckungsbescheid ergebenden fälligen Geldforderungen einschließlich Nebenforderungen und Kosten nicht mehr als 5000,00 EUR betragen, wobei Kosten der Zwangsvollstreckung bei der Berechnung der Forderungshöhe nur zu berücksichtigen sind, wenn sie allein Gegenstand des Vollstreckungsauftrages sind,
- die Vorlage anderer Urkunden als der Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides nicht vorgeschrieben ist,
- der Gläubiger dem Auftrag eine Abschrift des Vollstreckungsbescheides nebst Zustellungsbescheinigung als elektronisches Dokument beifügt und
- der Gläubiger versichert, dass ihm eine Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides und eine Zustellungsbescheinigung vorliegen und die Forderung in Höhe des Vollstreckungsauftrages noch besteht.
Mit dem elektronischen Vollstreckungsauftrag vom 16.6.2017 hat der Gläubiger sämtliche Voraussetzungen – insbesondere auch die der entsprechenden Versicherung – erfüllt.
Kein "willkürliches" Prüfungsrecht des GV
Zwar steht dem Gerichtsvollzieher gemäß § 754a Abs. 2 ZPO das Recht zu, bei Zweifeln am Vorliegen einer Ausfertigung des Vollstreckungsbescheides oder der übrigen Vollstreckungsvoraussetzungen auf eine Übersendung des Vollstreckungsbescheides bzw. den Nachweis der übrigen Vollstreckungsvoraussetzungen zu bestehen.
Der Gerichtsvollzieher muss dabei allerdings subjektiv Zweifel hegen, die zusätzlich trotz der Versicherung des Antragstellers anhand tatsächlicher Anhaltspunkte objektiv nachvollziehbar begründet sein müssen (vgl. hierzu BeckOK-ZPO/Ulrici, § 754a Rn 15–16). Solche auf entsprechende objektive Punkte gestützten Zweifel liegen im vorliegenden Sachverhalt nicht vor. Eine pauschale Anforderung eines Vollstreckungstitels ohne Zweifel widerspricht der gesetzlichen Willensrichtung. Aus diesem Grund ist der Gerichtsvollzieher anzuweisen, die Vollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid nicht pauschal – ohne entsprechend hinreichend begründete Zweifel – zu verweigern.
Kein Vergütungsanspruch
Die vom Gerichtsvollzieher in Ansatz gebrachten Kosten für eine nicht ausgeführte Amtshandlung, Zustellung sowie eine Auslagenpauschale entsprechend der Rechnung vom 26.6.2017 waren zudem mangels Rechtsgrundlage aufzuheben.
3 Der Praxistipp
Grundsatzentscheidung zur elektronischen Antragstellung
Die Entscheidung des AG Kassel dürfte die Er...