I. Die Ausgangslage
Der Pfändungsschutz sichert die wirtschaftliche und soziale Existenz des Schuldners und hat ohne Zweifel seine Berechtigung. Besonders intensiv ist der Pfändungsschutz bei der Pfändung von Arbeitseinkommen. So ist bei der Musterfamilie – der Schuldner ist verheiratet und hat zwei unterhaltsberechtigte Kinder – ein Nettoarbeitslohn von immerhin bis zu 2.199,99 EUR netto pfändungsfrei.
Des Einen Schutz ist des Anderen Risiko
Für den Gläubiger stellt sich der Pfändungsschutz als Risiko der Forderungsrealisierung dar, das nur durch eine intensive vorvertragliche und vertragsbegleitende Bonitätskontrolle vermindert werden kann. Ist das Kind in den Brunnen gefallen, zahlt also der Schuldner die begründete Forderung nicht freiwillig und kann diese auch im Wege der Standard-Zwangsvollstreckung nicht realisiert werden, so kann es helfen, etwas tiefer zu greifen. § 850f Abs. 2 ZPO privilegiert nämlich die Vollstreckung, wenn die Forderung (auch) aus vorsätzlich unerlaubter Handlung stammt.
Hinweis
Das ist häufiger der Fall, als man auf den ersten Blick meint. So gehen viele Schuldner weitere Verbindlichkeiten ein, obgleich sie ihre laufenden Verpflichtungen schon nicht erfüllen können. Es liegt also ein Eingehungsbetrug vor, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Das lässt sich besonders einfach feststellen, wenn weitere Verpflichtungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer unergiebigen Abnahme der Vermögensauskunft eingegangen wurden. Auch die Fälle der Schwarzfahrer gehören beispielhaft hierhin, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 265a StGB. Fast jeder Gläubiger kennt solche Fälle.
Das Problem: der Nachweis
Das Problem in der Praxis liegt darin, dass die Qualität der Forderung – als aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammend – dem Vollstreckungsgericht formell nachgewiesen werden muss. Das Vollstreckungsgericht steigt also nicht in eine materiell-rechtliche Prüfung ein. Die Problematik zeigt ein aktueller Fall des BGH auf, der zugleich die maßgeblichen Grundsätze benennt (4.9.2019, VII ZB 91/17).
II. Ein praktischer Fall des BGH
Vollstreckung aus der Insolvenztabelle
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle vom 10.4.2017 wegen einer Forderung, die in dem bei dem Amtsgericht – Insolvenzgericht – über das Vermögen des Schuldners geführten und inzwischen aufgehobenen Insolvenzverfahren als Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ("Anzeige § 302 InsO") zur Tabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten wurde.
Antrag nach § 850f Abs. 2 abgelehnt, trotz festgestellter unerlaubter Handlung
Das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – hat den von der Gläubigerin beantragten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, ihren weitergehenden Antrag auf Änderung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens gemäß § 850f Abs. 2 ZPO jedoch zurückgewiesen. Nachdem auch das Landgericht dem Gläubiger nicht gefolgt ist, musste sich nun der BGH mit dieser Frage auseinandersetzen.
III. Die Grundsätze zum Nachweis der Qualifizierung
Der BGH beschäftigt sich zunächst mit der Vorschrift des § 850f Abs. 2 ZPO zu § 850c ZPO. Die Vorschrift des § 850f Abs. 2 ZPO erweitert den Zugriff des Gläubigers auf das Arbeitseinkommen des Schuldners, wenn er wegen eines Anspruchs aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vollstreckt. Der Schuldner soll in diesen Fällen bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit auch mit den Teilen seines Arbeitseinkommens einstehen, die ihm sonst nach der Vorschrift des § 850c ZPO zu belassen wären. Über die Herabsetzung des unpfändbaren Betrages entscheidet auf Antrag des Gläubigers das Vollstreckungsgericht nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen (BGH NJW 2005, 1663).
Keine materiell-rechtliche Prüfung
Es ist nach dem BGH nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichts, auch über das Vorliegen eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zu entscheiden. Die Aufgabenverteilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren habe zur Folge, dass die materiell-rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs dem Prozessgericht obliegt, während die Vollstreckungsorgane die formellen Voraussetzungen prüfen, von denen die Durchsetzung des vollstreckbaren Anspruchs abhängt.
Anforderung: Vorlage eines Titels
Der Gläubiger hat unterschiedliche Alternativen, wie er vorgehen kann, um den Nachweis für das Vollstreckungsprivileg gemäß § 850f Abs. 2 ZPO zu führen:
Er kann dem Vollstreckungsgericht einen Titel vorzulegen, aus dem sich
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unmittelbar aus dem Tenor – die optimale Lösung –, |
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ausdrücklich aus den Entscheidungsgründen |
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oder jedenfalls im Wege der Auslegung |
der deliktische Schuldgrund und der von § 850f Abs. 2 ZPO vorausgesetzte Grad des Verschuldens ergeben.
Ergibt sich dies aus dem Titel nicht, kann der Gläubiger im Wege der Klage nachträglich feststellen lassen, dass der Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührt (BGH NJW 2005, 1663).
Vollstreckungsbescheid genügt ni...