Eigentum verpflichtet
Auf kaum einem anderen Rechtsgebiet wie dem Mietrecht zeigt sich, in welchem Umfang das Eigentum sozialverpflichtet ist. Die staatliche Verpflichtung, das Leben und die Gesundheit des Einzelnen zu schützen, drückt sich in einem Vollstreckungsverbot für den titulierten Räumungsanspruch aus. Am Ende erfüllt der Gläubiger und nicht der Staat die Schutzverpflichtung. Es fragt sich stets, über welchen Zeitraum dies angemessen ist. Am Ende des jetzt bewilligten Zeitraumes werden es dreieinhalb Jahre gewesen sein.
Hinweis
Wenn über dreieinhalb Jahre dem Schuldner seitens des Staates kein Therapieplatz zur Verfügung gestellt werden kann, sollte der Gläubiger jedenfalls einwenden, dass sich dann die staatliche Verantwortung zuspitzen muss. Dies muss umso mehr gelten, als der Gläubiger die staatlichen Instanzen, insbesondere die Sozial- und Gesundheitsbehörden auf den Missstand hinweist. Das liegt nicht nur im Eigeninteresse des Gläubigers, sondern auch im wohlverstandenen Interesse des Schuldners, dessen gesundheitliche Probleme durch die fehlende Behandlung sicher nicht besser werden.
Die Alternativen des Gläubigers
Den Gläubiger beeinträchtigt die Räumungsfrist in seiner Dispositionsfreiheit. Einerseits kann es die wirtschaftlichen Interessen betreffen, wenn die Nutzungsentschädigung nicht gezahlt wird. Das ist in der Abwägung als wesentlicher, nach Art. 14 GG auch verfassungsrechtlich relevanter Gesichtspunkt zu berücksichtigen. Wird – wie hier – die Nutzungsentschädigung gezahlt, so ist insbesondere sein Interesse, mit dem Eigentum nach seinem Belieben zu verfahren, beeinträchtigt. Die Entscheidung des LG lässt nicht erkennen, auf welchem Grund die titulierte Räumungsverpflichtung beruht. Es obliegt dem Gläubiger, seine Motive darzulegen und deren verfassungsrechtliche Bedeutung zu begründen, damit sie in der umfassenden Abwägung auch zum Tragen kommen.
Hier kann der Gläubiger aktiv werden
Ist der Handlungs- und Erfolgsdruck für den Gläubiger hoch, so ist es dem Gläubiger unbenommen, den Schuldner auf Möglichkeiten bei der Erfüllung seiner Auflagen hinzuweisen. Dies kann sich auf die Möglichkeiten der Ersatzbeschaffung ebenso beziehen wie auf Therapieeinrichtungen und -optionen. Bemüht der Schuldner sich dann nicht, diesen Hinweisen nachzugehen, kann auch dies einen bei der Abwägung relevanten Aspekt darstellen.
FoVo 10/2019, S. 196 - 200