Leitsatz
1. Eine Verkürzung oder Verlängerung der Räumungsfrist nach § 721 Abs. 3 ZPO kommt richtigerweise grundsätzlich nur bei Vortrag neuer Tatsachen in Betracht. Denn andernfalls würde das Ausgangsgericht erneut über Tatsachen entscheiden, die bereits einer rechtsmittelfähigen Entscheidung zugrunde lagen.
2. Für die Begründetheit eines Antrags auf Verlängerung einer Räumungsfrist nach § 721 Abs. 3 ZPO kann insbesondere sprechen, dass sich der Räumungsschuldner im Verlauf der bislang gewährten Räumungsfrist intensiv, aber vergeblich um Ersatzwohnraum bemüht hat. Dies hat der Schuldner substantiiert darzulegen und im Bestreitensfall auch zu beweisen.
3. Dabei ist im Einzelfall zu entscheiden, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich des Beginns der Obliegenheit zur Beschaffung von Ersatzwohnraum abzustellen ist. Gibt das Amtsgericht einer Klage auf Räumung und Herausgabe einer Wohnung in der ersten Instanz statt, greift die Obliegenheit auch bei schwierigerer Sach- und Rechtslage regelmäßig spätestens ab diesem Zeitpunkt.
LG München I, Beschl. v. 8.2.2023 – 14 T 1361/23
1 Der Fall
Rechtskräftige Verurteilung zur Räumung
Mit Urteil vom 23.12.2021 verurteilte das AG die Beklagten zur Räumung und Herausgabe einer Wohnung. Es wurde eine Räumungsfrist bis zum 28.2.2022 gewährt, § 721 Abs. 1 ZPO. Die Berufung der Beklagten wurde unter Verlängerung der Räumungsfrist bis zum 31.1.2023 am 3.8.2022 zurückgewiesen.
Erfolgloser Antrag auf Verlängerung der Räumungsfrist
Am 16.1.2023 beantragten die Beklagten eine Verlängerung der Räumungsfrist um sechs Monate bis zum 31.7.2023. Dabei trugen sie insbesondere vor, sich seit dem 3.8.2022 – intensiv, aber erfolglos – um eine Ersatzwohnung bemüht zu haben. Man habe sich für zehn Wohnungen beworben sowie mit der Stadtverwaltung korrespondiert und um zeitnahe Vergabe einer Wohnung gebeten.
Das AG wies den Antrag zurück. Die Beklagten hätten spätestens nach Erlass des Ersturteils mit ihrer Suche beginnen müssen. Im Zeitraum seit Erlass der zweitinstanzlichen Entscheidung hätten die Beklagten überdies gerade einmal durchschnittlich zwei Wohnungsbesichtigungen pro Monat durchgeführt. Dies sei unzureichend.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten. Man habe keine Ersatzwohnung für die 6-köpfige Familie (vier minderjährige Kinder im Alter zwischen drei und zwölf Jahren) gefunden. Es gebe "fast keine" Wohnungen. Die Suche habe auch nicht schon nach dem erstinstanzlichen Urteil beginnen müssen.
2 II. Aus der Entscheidung
Das AG hat den Antrag der Beklagten auf Verlängerung der Räumungsfrist richtigerweise zurückgewiesen.
Erfolglose Wohnungssuche unzureichend und reicht nicht zur Begründung
Die bislang erfolglose Suche der Beklagten nach Ersatzwohnraum vermag ihren Antrag vorliegend nicht zu begründen. Zwar kann für eine Verlängerung der Räumungsfrist nach § 721 Abs. 3 ZPO gerade auch die vergebliche Suche nach einer Ersatzwohnung sprechen. Im Falle fehlenden Ersatzwohnraums ist jedoch zu beachten, dass – strenggenommen – der Umstand "noch immer fehlenden" Ersatzwohnraums keine neue Tatsache darstellt. Die maßgebliche neue Tatsache kann vielmehr nur darin gesehen werden, dass sich der Schuldner im Verlauf der gewährten Räumungsfrist intensiv, aber vergeblich um Ersatzwohnraum gekümmert hat. Dies hat der Schuldner substantiiert darzulegen und im Bestreitensfall auch zu beweisen (BGH NJW 1990, 2823; LG Berlin ZMR 2019, 587).
Dieser Darlegungslast haben die Beklagten nicht genügt, zumal sie offenbar erst nach dem Berufungsurteil vom 3.8.2022 damit begonnen haben, sich um Ersatzwohnraum zu bemühen. So datieren die Schreiben an die Landeshauptstadt München auf den 9. und 17.8., 23.11., 6. und 19.12.2022. Die erste Besichtigung fand am 29.8.2022 statt.
Streit um den richtigen Zeitpunkt
Umstritten ist insoweit, auf welchen Zeitpunkt hinsichtlich der Obliegenheit zur Beschaffung von Ersatzwohnraum abzustellen ist:
▪ |
Nach einer Ansicht sei insoweit auf den Eintritt der Rechtskraft des Räumungsurteils abzustellen (LG Wuppertal WuM 1996, 429; LG Essen WuM 1992, 202; LG Hamburg WuM 1988, 316; Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Giers, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung 3. Aufl. 2015, § 721 ZPO Rn 17). Denn ansonsten wäre der Kündigungsempfänger gehalten, sich um neuen Wohnraum zu bemühen, obwohl er sich – möglicherweise zu Recht – gegen die Kündigung zur Wehr setzt. |
▪ |
Dem kann schon deshalb nicht zugestimmt werden, weil die Obliegenheit, sich auf die Suche nach Ersatzwohnraum zu begeben, gerade leerlaufen würde, wenn man erst einen derart späten Zeitraum als maßgeblich erachtete. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nicht wenige Räumungsverfahren in der 2. oder gar 3. Instanz fortgeführt werden. |
▪ |
Nach anderer Ansicht habe der Mieter regelmäßig bereits nach Erhalt der Kündigung Ersatzwohnraum zu suchen, der im Einzelfall auch teurer sein könne (OLG Köln ZMR 2004, 33). |
▪ |
Eine vermittelnde Ansicht nimmt eine Obliegenheit zur Ersatzwohnraumsuche jedenfalls dann an, wenn nach Maßgabe einer Einzelfallbetrachtung "die Wirksamkeit der Kündigung auf der H... |