Leitsatz
1. Bei der Ermittlung des pfändbaren Teils des Arbeitseinkommens werden die Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem konkreten Bedarf berücksichtigt, soweit sie nicht den nach den Umständen des Einzelfalls und den örtlichen Gegebenheiten angemessenen Umfang übersteigen. Bei der gebotenen Prüfung ist vorrangig das ortsübliche Mietpreisniveau, wie es sich aus einem qualifizierten Mietspiegel (§ 558d BGB), einem Mietspiegel (§ 558c BGB) oder unmittelbar aus einer Mietdatenbank (§ 558e BGB) ableiten lässt, heranzuziehen.
2. Auf die Miethöchstgrenzen aus der Tabelle zu § 8 WoGG a.F. kann als Maßstab der Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft erst dann zurückgegriffen werden, wenn ein konkret-individueller Maßstab durch lokale Erkenntnismöglichkeiten nicht gebildet werden kann.
BGH, 23.7.2009 – VII ZB 103/08
1 I. Der Fall
Hier gelten die Pfändungsfreigrenzen nicht
Vollstreckt der Gläubiger wegen laufenden und höchstens einjährig rückständigen Unterhaltsansprüchen, kann der Schuldner für sich nicht die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO in Anspruch nehmen, sondern muss sich mit dem notwendigen Unterhalt begnügen, § 850d ZPO. Gleiches gilt, wenn der Gläubiger dem Vollstreckungsgericht nachweisen kann, dass die von ihm vollstreckte Forderung zumindest auch aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammt, § 850f Abs. 2 ZPO.
2 II. Die Entscheidung
So wird der notwendige Unterhalt bestimmt
Nach der Rechtsprechung des BGH wird der notwendige Unterhalt nach dem individuellen Sozialhilfeniveau bestimmt (BGH InVo 2003, 442 = NJW 2003, 2918 = FamRZ 2003, 1466). Damit ist Ausgangspunkt der Berechnung dasjenige, was der Schuldner nach §§ 27 ff. SGB XII als laufende Hilfe zum Lebensunterhalt beanspruchen könnte (Schuschke/Kessal-Wulf, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 4. Aufl., § 850d Rn 7).
Notwendiger Unterhalt = Sozialhilfeniveau
In welcher Weise dabei die Mietkosten zu berücksichtigen sind, war bisher nicht hinreichend geklärt. § 29 SGB XII bestimmt insoweit, dass Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden. Übersteigen die Aufwendungen für die Unterkunft allerdings den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, sind Korrekturen notwendig und möglich. Ein Teil der Rechtsprechung hat ausgehend von dieser Regelung den angemessenen Wohnbedarf unmittelbar anhand der Bestimmungen des Wohngeldgesetzes gemessen (vgl. OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 2000, 220, 222; OLG Köln Rpfleger 1999, 548, 549). Der BGH hatte sich zunächst nicht festgelegt (BGH InVo 2003, 442).
BGH legt sich für Mietkosten fest
Nun legt sich der BGH für die Berücksichtigung der Mietkosten fest und folgt seiner Linie. Zunächst ist von § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII auszugehen und auf die tatsächlichen Mietkosten abzustellen.
3 Der Praxistipp
So müssen Sie prüfen
Der sich danach ergebende Aufwand ist dann auf seine Angemessenheit zu prüfen, was den sozialrechtlichen Vorschriften in § 29 Abs. 1 S. 2 SGB XII entspricht. Anders als die obergerichtliche Rechtsprechung wird aber nicht auf die abstrakte Berechnung des § 8 WoGG abgestellt, sondern auf die konkreten Verhältnisse. Der BGH nennt dabei die aus dem Leitsatz ersichtlichen Instrumentarien. Es obliegt dann dem Gläubiger, im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen diese Hilfsmittel nicht zur Bestimmung des konkreten Bedarfes geeignet sind. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn der Mietspiegel oder die Mietdatenbank veraltet ist oder sich dort Sondereffekte wiederfinden, die für den Schuldner nicht gelten.
Dies kann dem Gläubiger bei einem sehr niedrigen Mietniveau vor allem in ländlichen Regionen dienen und wirkt sich negativ aus, wenn der Schuldner in einer Region, insbesondere einer Stadt, mit hohem Mietniveau wohnt. In diesem Fall kann sich sogar ergeben, dass der Schuldner mehr als nur den Pfändungsfreibetrag nach § 850c ZPO erhält, sofern er einen Antrag auf erweiterten Pfändungsschutz nach § 850f Abs. 1 ZPO stellt.