Leitsatz
Wird ein rechtskräftiges Versäumnisurteil im Ausland (hier: Türkei) nicht für vollstreckbar erklärt, weil es nur im Wege der Aufgabe zur Post gem. §§ 183, 184 ZPO zugestellt worden ist, so hat der Kläger unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes auf Antrag Anspruch auf eine zusätzliche Zustellung des Urteils im förmlichen Rechthilfewege.
Eine – nochmalige – Einspruchsfrist wird dadurch jedoch nicht ausgelöst.
OLG Stuttgart, 11.5.2011 – 5 W 8/11
1 I. Die Entscheidung
Vollstreckungsanspruch hat Verfassungsrang
Der Kläger hat einen Justizgewährungsanspruch, der auch bei einer nach deutschem Zivilprozessrecht wirksamen vorangegangenen Zustellung eine erneute Zustellung nach § 183 ZPO gebieten kann. Der in Art. 19 Abs. 4 GG wurzelnde Justizgewährungsanspruch beinhaltet die Pflicht der Gerichte, alles zur sachgemäßen Erledigung des Rechtsschutzgesuchs Notwendige zu tun. Dazu gehört auch, die Zustellung gerichtlicher Entscheidungen in einer Art auszuführen, die in demjenigen Staat, in dem sie vollstreckt werden sollen, anerkannt wird, auch wenn nach deutschem Zivilprozessrecht eine andere, einfachere Zustellungsart bereits ausreichend und wirksam ist (vgl. OLG Nürnberg, 19.8.2008 – 2 W 1601/08). Das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten garantiert insoweit den Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz, der nicht nur die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Erkenntnisverfahrens und – bei einem Zivilprozess im Erfolgsfall – die Herbeiführung eines Vollstreckungstitels umfasst, sondern auch die Berücksichtigung der Anforderungen, von denen der ausländische Staat die Anerkennung des Urteils als Vollstreckungstitel abhängig macht (vgl. OLG Hamm, 10.9.2008 – 8 W 50/08 m.w.N.; OLG Frankfurt, 16.3.2009 – 14 W 27/09). Die Zustellung soll nicht nur die Voraussetzungen für die formelle Rechtskraft, sondern vor allem auch für die Zwangsvollstreckung schaffen. Zudem besteht ein Interesse der deutschen Justiz an einer möglichst breiten Akzeptanz und Durchsetzung ihrer Entscheidungen auch im Ausland.
2 II. Der Praxistipp
Die Welt ist mobiler
Die Welt wird mobiler und flexibler. Das kann nicht ohne Auswirkungen auf die Vollstreckung bleiben: Schuldner verlegen ihren Wohnsitz ins Ausland, gegen ausländische Schuldner werden Forderungen in Deutschland (vgl. IPR) tituliert oder das Informationsmanagement erbringt, dass der Schuldner im Ausland über Vermögen verfügt.
Schuldner kann nicht profitieren
Die Entscheidung des OLG zeigt, dass ein Verfassungsanspruch besteht, die Bemühungen zu unterstützen, einen Anspruch nicht nur zu titulieren, sondern ihn tatsächlich durchsetzen zu können. Dabei begleitet den Gläubiger die Erkenntnis, dass der Schuldner hiervon nicht profitieren darf. Der Umstand, dass ein ausländischer Staat strengere Anforderungen an die Zustellung hat, führt nicht dazu, dass die nach deutschem Recht wirksam erfolgte Zustellung ihre Wirkung verliert. Deshalb hatte der Schuldner im konkreten Fall keine Möglichkeit, durch einen Einspruch gegen den VB das Verfahren weiter zu verzögern.