Leitsatz
Das in § 885 Abs. 2 bis 4 ZPO vorgesehene Verfahren bei der Herausgabe eines Grundstücks ist auf dort befindliche Tiere entsprechend anwendbar; dies gilt auch, wenn die durch das Räumungsverfahren entstehenden Kosten – etwa wegen der Art oder Anzahl der Tiere – sehr hoch ausfallen.
Scheitert der Versuch des Gerichtsvollziehers, die in Verwahrung genommenen Tiere nach § 885 Abs. 4 S. 1 ZPO zu verkaufen, hat der Gläubiger für die Kosten einer weiteren Verwahrung der Tiere nicht mehr aufzukommen.
Eine Vollstreckung nach § 888 ZPO neben der Herausgabevollstreckung nach §§ 885, 886 ZPO – hier: Verhängung eines Zwangsgelds gegen den Schuldner, um diesen zu Maßnahmen zu veranlassen, die der Räumung des Grundstücks dienen – kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn neben der Räumungs- und Herausgabeverpflichtung weitergehende Handlungspflichten des Schuldners Gegenstand des Vollstreckungstitels sind.
BGH, 4.4.2012 – I ZB 19/11
I. Der Fall
Titulierter Räumungsanspruch über Grundbesitz und darauf befindliche Tiere
Der Schuldner ist rechtskräftig verurteilt, ein zur Zucht von Damwild genutztes Grundstück geräumt an die Gläubigerin herauszugeben sowie die während der Pachtzeit mit Bauschutt vorgenommene Aufschüttung auf seine Kosten zu beseitigen. Die Gläubigerin hat die Verhängung eines Zwangsgeldes gegen den Schuldner wegen der unterbliebenen Entfernung des Damwilds vom Grundstück beantragt. Das AG hat antragsgemäß ein Zwangsgeld von 3.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, für je 100 EUR einen Tag Zwangshaft gegen den Schuldner festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das LG den Beschluss aufgehoben und den Antrag zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde.
II. Die Entscheidung/Der Praxistipp
Abgrenzung der Vollstreckungsarten erforderlich
Die Frage, wie im Rahmen der Vollstreckung zur Herausgabe von Grundstücken nach § 885 ZPO zu verfahren ist, wenn der Schuldner auf dem Grundstück Tiere hält, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
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Teilweise wird die Ansicht vertreten, im Interesse einer effektiven Zwangsvollstreckung habe das zuständige Ordnungsamt im Rahmen der Gefahrenabwehr für die Unterbringung und Versorgung der Tiere zu sorgen (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1997, 1789; LG Oldenburg DGVZ 1995, 44; LG Ingolstadt Rpfleger 1997, 538; VG Freiburg NJW 1997, 1796; Wieczorek/Schütze/Storz, ZPO, 3. Aufl., § 885 Rn 62; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., § 885 Rn 8; Geißler, DGVZ 1995, 145; Schneider, MDR 1998, 1133; differenzierend nach der Höhe der entstehenden Kosten Ferst, DGVZ 1997, 177). |
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Die Gegenansicht geht davon aus, dass auf dem zu räumenden Grundstück befindliche Tiere wie bewegliche Sachen zu behandeln sind und insoweit entsprechend § 885 Abs. 2 bis 4 ZPO zu verfahren ist (vgl. MüKo-ZPO/Gruber, 3. Aufl., § 885 Rn 52; Musielak/Lackmann, ZPO, 9. Aufl., § 885 Rn 14; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 885 Rn 33; Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 885 Rn 19; Loritz, DGVZ 1997, 150; Braun, JZ 1997, 574; Stollenwerk, JurBüro 1997, 620 f.; Rigol, MDR 1999, 1363). |
BGH entscheidet Streitfrage
Der BGH folgt der zweiten Ansicht und entscheidet damit den Streit. Befinden sich auf dem herauszugebenden Grundstück Tiere des Schuldners, hat der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung grundsätzlich nach § 885 Abs. 2 bis 4 ZPO durchzuführen.
Checkliste: So ist nach § 885 ZPO zu verfahren
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Bewegliche Sachen, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind, werden nach § 885 Abs. 2 ZPO vom Gerichtsvollzieher weggeschafft und dem Schuldner oder, wenn dieser abwesend ist, einem Bevollmächtigten des Schuldners oder einer zu seiner Familie gehörenden oder in dieser Familie dienenden erwachsenen Person übergeben oder zur Verfügung gestellt, § 885 Abs. 2 ZPO. |
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Ist weder der Schuldner noch eine der bezeichneten Personen anwesend, so hat der Gerichtsvollzieher nach § 885 Abs. 3 S. 1 ZPO die Sachen auf Kosten des Schuldners in das Pfandlokal zu schaffen oder anderweit in Verwahrung zu bringen, § 885 Abs. 3 S. 1 ZPO. |
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Unpfändbare Sachen und solche Sachen, bei denen ein Verwertungserlös nicht zu erwarten ist, sind auf Verlangen des Schuldners ohne Weiteres herauszugeben, § 885 Abs. 3 S. 2 ZPO. |
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Verzögert der Schuldner die Abforderung der vom Gerichtsvollzieher in Verwahrung genommenen Sachen oder weigert er sich, die Verfahrenskosten zu tragen, hat der Gerichtsvollzieher nach Ablauf von zwei Monaten nach der Räumung die Sachen zu verkaufen und den Erlös zu hinterlegen, § 885 Abs. 4 S. 1 Hs. 1 ZPO. |
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Sachen, die nicht verwertet werden können, sollen vernichtet werden, § 885 Abs. 4 S. 2 ZPO. |
Auch für Tiere gilt dieses Verfahren bei der Räumungsvollstreckung
Auf Tiere, die sich auf dem zu räumenden Grundstück befinden, ist das in § 885 Abs. 2 bis 4 ZPO vorgesehene Verfahren nach Ansicht des BGH entsprechend anwendbar. Dies folgt aus § 90a S. 3 BGB. Danach sind die für Sachen geltenden Vorschriften auf Tiere entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes be...