Leitsatz
Beruft sich der Schuldner im Verfahren der Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO auf nachträglich entstandene materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch, die weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt sind, so wird er damit nicht gehört (Anschluss an EuGH, 13.10.2011 – C-139/10, NJW 2011, 3506).
BGH, 12.7.2012 – IX ZB 267/11
I. Der Fall
Die Antragstellerin erwirkte gegen den Antragsgegner ein vollstreckbares Urteil des AG Prag, durch das dieser verurteilt wurde, an sie 600.000 Tschechische Kronen nebst Zinsen zu zahlen. Sie verkaufte ihre Forderung an einen Dritten. In der Folge stritten die Parteien, ob die Antragstellerin noch Forderungsinhaberin ist. Auf ihren Antrag hat das LG angeordnet, dass das Urteil des AG Prag mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners hatte keinen Erfolg.
II. Die Entscheidung
Tschechischer Zahlungstitel ist in Deutschland vollstreckbar
Zutreffend und von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen ist der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts, dass das tschechische Zahlungsurteil auf der Grundlage von Art. 38 ff. der Verordnung (EG) Nummer 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (fortan: EuGVVO oder Verordnung) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 2, § 55 AVAG in Deutschland vollstreckt werden kann. Die Voraussetzungen gemäß Art. 40, 41, 53 EuGVVO liegen vor (vgl. BGH FamRZ 2008, 586 Rn 15). Anerkennungshindernisse nach Art. 34 und 35 EuGVVO (Art. 45 EuGVVO) macht der Antragsgegner nicht geltend und sind auch nicht ersichtlich.
Möglichkeiten der Einwendungen sind begrenzt
Gemäß § 12 Abs. 1 AVAG kann der Schuldner mit der Beschwerde gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung in Deutschland aus einem ausländischen Titel auch Einwendungen gegen den Anspruch selbst insoweit geltend machen, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach Erlass der Entscheidung entstanden sind. Nach § 14 Abs. 1 AVAG kann der Schuldner, wenn die Zwangsvollstreckung in Deutschland aus dem ausländischen Titel zugelassen ist, Einwendungen gegen den Anspruch selbst nach § 767 ZPO nur geltend machen, wenn die Gründe, auf denen seine Einwendungen beruhen, entweder nach Ablauf der Beschwerdefrist oder, falls die Beschwerde eingelegt worden ist, nach Beendigung dieses Verfahrens entstanden sind. Die Anwendung dieser beiden Regelungen ist durch § 55 AVAG für den Bereich der Verordnung nicht ausgeschlossen.
Streitfrage ist unter Beachtung des EuGH zu entscheiden
Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur streitig, ob § 12 AVAG im Vollstreckbarerklärungsverfahren auf der Grundlage der Verordnung bei "nicht liquiden", das heißt bei streitigen oder nicht rechtskräftig festgestellten Einwendungen anwendbar ist. Nach Auffassung des BGH ist die Frage zu verneinen. Dies begründet er ausführlich. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (13.10.2011 – C-139/10, NJW 2011, 3506) sind sämtliche materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den Vollstreckungstitel von der Verfahrenspräklusion erfasst. Jedenfalls soweit der Schuldner sich auf nachträglich entstandene materiell-rechtliche Einwendungen gegen den titulierten Anspruch beruft, die weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt sind, wird er damit in den Beschwerdeverfahren nach Art. 43 und 44 EuGVVO gemäß Art. 45 EuGVVO nicht gehört.
III. Der Praxistipp
Schuldner ist nicht rechtlos
Der Schuldner ist durch die Entscheidung des BGH nicht rechtlos gestellt. Allerdings ist ihm die Möglichkeit genommen, das Vollstreckungsverfahren durch unstatthafte Einwendungen zu verzögern. Er muss vielmehr in dem Mitgliedsstaat, in dem der Vollstreckungstitel geschaffen wurde, seine Einwendungen nach den dortigen Rechtsregeln geltend machen.
Deutschland: Vollstreckungsgegenklage
Nach deutschem Recht wäre die Vollstreckungsgegenklage zu erheben, die für die Geltendmachung materiell-rechtlicher Einwendungen der statthafte Rechtsbehelf ist. Hier ist allerdings zu beachten, dass materiell-rechtliche Einwendungen nicht unbeschränkt geltend gemacht werden können, sondern nur insoweit, wie diese vor der letzten mündlichen Verhandlung entstanden sind und – beim Vollstreckungsbescheid und beim Versäumnisurteil – nicht mehr durch Einspruch geltend gemacht werden können. Dies muss der Gläubiger prüfen und die Präklusion ggf. seinerseits einwenden. Dies sollte ungeachtet der Unzulässigkeit des Einwandes im Verfahren über die Erteilung der Vollstreckungsklausel vom Gläubiger geprüft werden, da er für eine ansonsten unzulässige Zwangsvollstreckung kostenmäßig einzustehen hat.