Leitsatz
Ein Vollstreckungsbescheid kann nicht den Nachweis begründen, dass die Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammt. Bei einem Versäumnisurteil und einem Prozessvergleich verhält sich dies nur anders, wenn sich diese Qualifizierung der Forderung ausdrücklich aus dem Tenor der Entscheidung ergibt.
BGH, 28.6.2012 – IX ZR 160/11
I. Der Fall
VU und VB wegen nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge
Der Beklagte war Geschäftsführer der G.-GmbH, die wiederum Komplementärin der G.-GmbH amp Co. KG war. Die KG hatte in den Monaten Februar bis Juli 2000 die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung für die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer nicht abgeführt. Wegen dieser nicht abgeführten Beiträge erwirkte die Klägerin einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid auf Zahlung von 11.161,63 EUR und ein rechtskräftiges Versäumnisurteil auf Zahlung von weiteren 47.468,25 EUR gegen den Beklagten. Von dem Gesamtbetrag von 58.629,88 EUR hat ein früherer Mitgeschäftsführer des Beklagten einen Betrag von 10.000 EUR an die Klägerin gezahlt.
Insolvenz: Anmeldung aus vorsätzlich unerlaubter Handlung
Im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten meldete die Klägerin ihren Anspruch in Höhe von 48.629,88 EUR mit dem Forderungsgrund “Schadensersatzansprüche aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB (tituliert)“ zur Insolvenztabelle an. Der Beklagte widersprach der Forderung nach Grund und Höhe.
Feststellungsklage nach Widerspruch: Zulässig?
Die Klägerin beantragt festzustellen, dass der Beklagte die Schadensersatzforderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung schulde und sein Widerspruch unbegründet sei. Das LG hat die Klage für zulässig und begründet gehalten. Auf die Berufung des Beklagten hat das Kammergericht die Klage mit der Maßgabe abgewiesen, dass sie derzeit unzulässig sei.
II. Die Entscheidung/Der Praxistipp
BGH widerspricht dem Kammergericht und folgt dem Gläubiger
Der BGH widerspricht dem Kammergericht (KG) und hält die Feststellungsklage für zulässig. Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde (§ 256 Abs. 1 ZPO). Vorliegend folgt das rechtliche Interesse der Klägerin aus § 302 Nr. 1 InsO. Der Schuldner hat Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt. Wird diese erteilt, darf die Klägerin grundsätzlich weder aus dem Versäumnisurteil noch aus dem Vollstreckungsbescheid gegen den Schuldner vollstrecken. Zwar werden Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung von der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht berührt, sofern der Gläubiger die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Abs. 2 InsO angemeldet hatte, § 302 Nr. 1 InsO. Vorliegend hat aber der Schuldner der von der Klägerin angemeldeten Forderung dem Grunde und der Höhe nach widersprochen. Damit hat er sich die rechtliche Möglichkeit verschafft, im Fall der Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil und dem Vollstreckungsbescheid Vollstreckungsgegenklage zu erheben (BGH ZInsO 2011, 39). Für die Klägerin besteht damit das Risiko, dass es früher oder später zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung kommt (BGH ZInsO 2006, 704). Zurückgenommen hat der Beklagte seinen Widerspruch nicht, sodass weiterhin das Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung um den Forderungsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung gegeben ist.
Hinweis
Nichts anders gilt unter dem Blickwinkel von § 850f Abs. 2 ZPO für die Einzelzwangsvollstreckung. Soweit der Schuldner über Arbeitseinkommen verfügt, kommen ihm die Pfändungsfreigrenzen nach § 850c ZPO zugute. Anderes gilt, wenn die Vollstreckungsforderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammt. In diesem Fall ist ihm nur der notwendige Unterhalt zu belassen, den der BGH in Höhe des fiktiven individuellen Sozialhilfesatzes bestimmt.
Kein einfacherer Weg für den Gläubiger zu sehen
Der Klägerin steht kein gegenüber der Feststellungsklage einfacherer Weg zur Verfügung, um die Wirkungen des Widerspruchs des Beklagten zu beseitigen. Insbesondere kann sie nicht einen Antrag auf Berichtigung der Tabelle gemäß oder entsprechend § 183 Abs. 2 InsO stellen. Die Tabelle ist nicht im Sinne dieser Vorschrift unrichtig. Aus § 183 Abs. 2 InsO folgt, dass ein obsiegender Beteiligter eines Feststellungsstreits im Sinne des § 179 Abs. 1 oder 2 InsO beim Insolvenzgericht die Berichtigung der Tabelle beantragen kann, wenn er als anmeldender Gläubiger mit seiner Klage Erfolg gehabt hat oder als bestreitender Insolvenzgläubiger oder Insolvenzverwalter mit seinem Widerspruch durchgedrungen ist. Eine entsprechende Anwendung des § 183 Abs. 2 InsO kommt möglicherweise dann in Betracht, wenn der Gläubiger eine titulierte Forderung angemeldet hat, die vom Schuldner bestritten worden ist, der Schuldner jedoch entgeg...