I. Das Problem
Vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung erst spät erkannt
Gegen den Schuldner ist schon vor Jahren ein Vollstreckungsbescheid erwirkt worden. Inzwischen – mehr als vier Jahre später – hat sich herausgestellt, dass es sich bei der Forderungsbegründung um einen Eingehungsbetrug nach § 263 StGB gehandelt hat, weil er noch kurz vor Vertragsabschluss die eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte. Kann jetzt noch der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung tituliert werden, um die vollstreckungsrechtlichen Vorteile zu nutzen, oder ist der Anspruch verjährt?
II. Die Lösung
Grundsätzlich genügt ein Anspruch …
Ist ein Zahlungsanspruch als vertraglicher Anspruch begründet, kann er als solcher tituliert werden. Daneben kommen ggf. weitere Anspruchsgrundlagen in Betracht. In der Regel kommt es auf diese Anspruchskonkurrenz nicht an, weil der Anspruch nur einmal begründet werden muss, um tituliert zu werden.
… während Ausnahmen die Regel bestätigen
Doch keine Regel ohne Ausnahme. In verschiedenen Fällen sind wichtige Ausnahmen zu beachten:
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Nach § 850f Abs. 2 ZPO kann der Schuldner bei der Pfändung von Arbeitslohn die höheren Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO für sich nicht in Anspruch nehmen, wenn die Vollstreckungsforderung (auch) aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung begründet ist. Er ist dann auf die notwendigen Mittel für seinen Lebensunterhalt (Hartz IV) und die Erfüllung eigener gesetzlicher Unterhaltspflichten beschränkt. |
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Nichts anderes gilt bei der Kontopfändung nach §§ 850k Abs. 4 i.V.m. 850f Abs. 2 ZPO. |
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Letztlich nimmt eine derart qualifizierte Forderung nicht an der Restschuldbefreiung teil, sofern sie nur als solche angemeldet wurde, § 302 InsO. |
Effektive Zwangsvollstreckung bleibt möglich
Diese privilegierte Vollstreckung erlaubt es also, der mangelnden Liquidität des Schuldners, den Pfändungsschutzvorschriften und nicht zuletzt der (Verbraucher-)Insolvenz etwas entgegenzusetzen. Allerdings werden diese Voraussetzungen der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht selbstständig geprüft, sondern sind dort nur "nachzuweisen". Es bedarf also der vorherigen Titulierung im Wege der Feststellungsklage, dass der titulierte Zahlungsanspruch "auch" aus vorsätzlich unerlaubter Handlung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz (etwa Eingehungsbetrug, § 263 StGB) begründet ist.
Häufig offenbart sich aber erst in der Zwangsvollstreckung durch die weitere Informationsermittlung, etwa das Verfahren über die Vermögensauskunft nach §§ 802c und d ZPO, den Abruf des Schuldnerverzeichnisses oder die Einsichtnahme in die Insolvenzakte nach § 4 InsO i.V.m. § 299 ZPO, dass der Schuldner zum Zeitpunkt seiner vertraglichen Verpflichtung bereits zahlungsunfähig oder überschuldet war und er mangels Offenbarung dieses Umstandes einen Eingehungsbetrug begangen hat. Wird die Feststellungsklage dann nachträglich – gegen einen Widerspruch in der Insolvenz nach § 184 InsO – erhoben, stellte sich bisher die Problematik, ob dieser materiell-rechtliche Feststellungsanspruch nicht schon verjährt ist. Deshalb wurde vielfach auf eine nachträgliche Feststellungsklage verzichtet.
BGH hilft dem Gläubiger bei der Verjährungsfrage
Der Anspruch des Gläubigers auf Feststellung des Rechtsgrundes einer vollstreckbaren Forderung als solcher aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung verjährt nach Auffassung des BGH aber nicht nach den Vorschriften, welche für die Verjährung des Leistungsanspruchs gelten. (BGH v. 2.12.2010 – IX ZR 247/09, NJW 2011, 1133), was zeigt, dass die zurückhaltende Herangehensweise zu viel vorauseilender Gehorsam war. Im Ergebnis verjährt der Feststellungsanspruch also nicht.
Hinweis
Der BGH hat in der genannten Entscheidung eine zweite Hilfestellung gegeben: Auch die Zinsen und Kosten werden von der Feststellung "auch aus vorsätzlich unerlaubter Handlung" erfasst. Kann der Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung für den vollstreckbaren Anspruch der Schuldnerin in der Hauptsache festgestellt werden, wird weiter zu prüfen sein, ob dies auch für die Kosten und weiteren Nebenforderungen gilt. Die Vorschrift des § 302 Nr. 1 InsO dient in gleicher Wertung wie das Aufrechnungsverbot des § 393 BGB dazu, die Durchsetzbarkeit von Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zu stärken. Zu diesem Zweck werden Einwendungen versagt, welche die Rechtsordnung dem insoweit schutzwürdigen Schuldner im Allgemeinen gewährt. Ebenso wie für das Aufrechnungsverbot gegen den Täter eines Vorsatzdelikts anerkannt ist, dass es auch Folgeschäden wie Verzugszinsen (BGH v. 18.11.10 – IX ZR 67/10) und Rechtsverfolgungskosten (OLG Karlsruhe MDR 1969, 483; OLG Köln NJW-RR 1990, 829 f.; Staudinger/Gursky, BGB 13. Bearb. 2006, § 393 Rn 22; MüKo-BGB/Schlüter, 5. Aufl., § 393 Rn 3; vgl. auch BFHE 178, 532, 537) schützend umfasst, hat dies auch für die entsprechende Ausnahme von der Restschuldbefreiung nach § 302 N...