Leitsatz
Als Wohnung im Sinne des § 178 Abs. 1 ZPO gilt auch ein Ort, an dem sich der Schuldner nur besuchsweise für einige Tage aufhält (hier Wohnung der Schwester). Dort kann eine Zustellung im Wege der Ersatzzustellung erfolgen.
LG München I, 25.2.2016 – 16 T 507/16
1 I. Der Fall
Wo kann dem Schuldner eine Ladung zur VA zugestellt werden?
Auf einen Zwangsgeldbeschluss hat der Schuldner keine Zahlungen geleistet. Der Gläubiger hat darauf die Abnahme der Vermögensauskunft und, nachdem diese nicht erfolgt ist, den Erlass eines hierauf bezogenen Haftbefehls nach § 802g ZPO beantragt. Das AG hat dies abgelehnt, weil keine ordnungsgemäße Zustellung der Ladung zum Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft erfolgt sei. Die Ladung wurde der Schuldnerin am 17.11.2015 unter der Adresse B. 24 c/o T., 80796 München, im Wege der Ersatzzustellung gemäß §§ 192 Abs. 1, 191, 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO durch Übergabe des Schriftstücks an die Nichte der Schuldnerin, C. S., zugestellt. Das sah der Gläubiger ganz anders und verfolgte seinen Haftbefehlsantrag mit der sofortigen Beschwerde weiter.
2 II. Aus der Entscheidung/Praxistipp
Zu Recht blieb der Gläubiger so beharrlich und erreichte so die Feststellung des LG, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls gemäß § 802g ZPO vorliegen.
Allgemeine Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung liegen vor
Die Zwangsvollstreckung darf nach §§ 750, 794, 795 ZPO beginnen, wenn die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen, d.h. ein Vollstreckungstitel, soweit erforderlich eine Vollstreckungsklausel und letztlich der Nachweis der Zustellung. Im konkreten Fall war an diesen Voraussetzungen nicht zu zweifeln, weil eine vollstreckbare Ausfertigung des Zwangsgeldbeschlusses und eine Bescheinigung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle gemäß § 169 Abs. 1 ZPO über die Zustellung vorlag. Die Bescheinigung nach § 169 Abs. 1 ZPO hielt das LG als Nachweis für die Zustellung des Titels für ausreichend (vgl. Zöller, 31. Aufl., Rn 17 zu § 750 ZPO).
Hinweis
Hier ist Vorsicht geboten. Die Zustellbescheinigung bringt nur zunächst den Nachweis der ordnungsgemäßen Zustellung. Beanstandet der Vollstreckungsschuldner indes, dass die Zustellung nicht oder nicht ordnungsgemäß erfolgt sei, so darf dieser Einwand nicht alleine unter Hinweis auf den Zustellungsvermerk zurückgewiesen werden. Die ordnungsgemäße Zustellung hat der Vollstreckungsgläubiger in diesem Fall durch Vorlage der Zustellungsurkunde bzw. einer ihm aus der Akte des Erkenntnisverfahrens davon erteilten Abschrift nachzuweisen (OLG Köln InVo 1996, 246 = Rpfleger 1997, 31). Das Risiko, dass die Zustellungsurkunde als Nachweis nicht mehr vorhanden ist, trägt der Gläubiger.
Nachdem der Schuldner zum Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft nicht erschienen ist, lagen grundsätzlich die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach § 802g ZPO vor.
Ersatzzustellung: der Wohnungsbegriff
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts wurde die Schuldnerin auch ordnungsgemäß nach § 802f Abs. 1, 3, 4 ZPO geladen. Richtig ist aus Sicht des LG, dass eine Ersatzzustellung nach den §§ 192 Abs. 1, 191, 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nur in der Wohnung des Zustellungsadressaten möglich ist.
Hinweis
Die Problematik, ob auch in einer fremden Wohnung eine Zustellung erfolgen kann, stellt sich nur, wenn der Schuldner dort nicht angetroffen wird. Wird er selbst angetroffen und ihm das zuzustellende Schriftstück übergeben, handelt es sich um eine originäre Zustellung an den Adressaten.
Wohnung verlangt weniger als § 7 BGB
Erforderlich ist insoweit jedoch nicht, dass der Adressat unter der Zustellungsanschrift seinen Wohnsitz i.S.d. § 7 BGB hat. Erforderlich und ausreichend für das Vorliegen einer Wohnung i.S.d. § 178 ZPO ist vielmehr, dass der Zustellungsadressat in den Räumen zum Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich lebt, d.h. seinen räumlichen Lebensmittelpunkt hat, und er diese regelmäßig aufsucht. Es kann sich dabei auch nur um einen vorübergehenden Aufenthalt handeln, so dass als Wohnung auch Hotelzimmer oder ein Wohnwagen in Betracht kommen (Zöller-Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 178 Rn 4; Beck'scher OK-ZPO, Stand 1.12.2015, Rn 3 zu § 178; MüKo-ZPO, 4. Aufl., Rn 5 zu § 178 ZPO). Insbesondere genügt für das Vorliegen einer Wohnung auch, dass sich der Adressat in den Räumen vorübergehend zu Besuch aufhält (MüKo-ZPO, 4. Aufl., Rn 5 zu § 178 ZPO).
Hinweis
Immer wieder haben Gläubiger mit dem Problem zu kämpfen, einen Vollstreckungstitel nicht zustellen zu können, so dass auch die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung nicht geschaffen werden können. Die in der Kommentarliteratur geteilte Sichtweise des LG gibt hier neue Möglichkeit, insbesondere wenn der Gläubiger in Erfahrung bringen kann, wo z.B. die Lebensgefährtin oder der Lebensgefährte des in Trennung lebenden Schuldners/Schuldnerin wohnt.
Im konkreten Einzelfall war durch das Gerichtsvollzieherprotokoll nachzuweisen, dass der Schuldner zumindest besuchsweise unter der Zustellungsadresse wohnte. Die Nichte hatte bestätigt, dass der Schuldner "zur Zeit" bei ihr wohnt.
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