1. § 826 BGB als Ausgangspunkt
Alleiniges Rechtsmittel: Klage aus § 826 BGB
Der BGH folgt dieser Linie grundsätzlich und postuliert abweichend von den sonst sehr strengen Voraussetzungen für eine Rechtskraftdurchbrechung abgemilderte Anforderungen zur Durchbrechung der Rechtskraft.
Hinweis
Dabei muss gesehen werden, dass die Rechtskraft nur insoweit unterlaufen werden kann, wie die nachfolgenden Voraussetzungen tatsächlich vorliegen. Sie ist kein Einfallstor für Einwendungen, die problemlos hätten schon früher geltend gemacht werden können, wie etwa die Erfüllung der Forderung vor Titulierung.
Die Grundsätze des BGH
Der BGH formuliert als Grundlage seiner ständigen Rechtsprechung:
"Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung bietet § 826 BGB dem Schuldner unter besonderen Umständen die Möglichkeit, sich gegen die Vollstreckung aus einem rechtskräftigen, aber materiell unrichtigen Titel zu schützen. Die Rechtskraft muss zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt. Eine solche Anwendung des § 826 BGB muss jedoch auf besonders schwerwiegende, eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben, weil jede Ausdehnung das Institut der Rechtskraft aushöhlen, die Rechtssicherheit beeinträchtigen und den Eintritt des Rechtsfriedens in untragbarer Weise in Frage stellen würde".
Prüfung auf vier Stufen
Die Prüfung des BGH erfolgt auf vier Stufen, deren Voraussetzungen alle gemeinsam vorliegen müssen, damit die Vollstreckung aus dem Vollstreckungstitel für unzulässig erklärt werden kann:
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die materielle Unrichtigkeit des Titels, |
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die Kenntnis des Gläubigers von der materiell-rechtlichen Unrichtigkeit, |
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die Sittenwidrigkeit der Schädigung, |
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beachtenswerte Nichtergreifung eines Rechtsmittels durch den Schuldner. |
2. Die materielle Unrichtigkeit des Titels
Der BGH verlangt als erste der Voraussetzungen die materielle Unrichtigkeit des Titels. Während bei einer durch den Richter geprüften Anspruchsstellung das Risiko der unrichtigen Rechtsanwendung beide Parteien trifft, bestimmt der Gläubiger bei der Nutzung des gerichtlichen Mahnverfahrens einseitig den Anspruchsinhalt. Deshalb weist der BGH dem Gläubiger das Risiko der rechtlichen Fehlerhaftigkeit ebenfalls einseitig zu.
Hinweis
Maßgeblich ist nach dem BGH, ob das jetzt angerufene Gericht den titulierten Anspruch für materiell begründet erachtet. Es bedarf also keiner fiktiven Betrachtung, wie ein angerufenes Gericht wohl entschieden hätte. Allerdings ist zeitlich auf die Rechtslage bei der Titulierung abzustellen.
Da die Frage der Erstattungsfähigkeit von Kontoführungsgebühren in der Vergangenheit dem Grunde wie der Höhe nach umstritten war (siehe schon oben; einen Überblick zum früheren Sach- und Streitstand gibt Seitz, Inkassohandbuch, 3. Aufl., S. 322/323). Entlang der bisherigen Streitfrage besteht für den Gläubiger damit das grundsätzliche Risiko, dass ein Gericht von der materiellen Unrichtigkeit des Vollstreckungsbescheides ausgeht.
3. Die Kenntnis des Gläubigers von der materiell-rechtlichen Unrichtigkeit
Weitere Voraussetzung der Durchbrechung der Rechtskraft nach § 826 BGB ist es, dass der Titelgläubiger die Unrichtigkeit des Titels kennt. Dabei wird die Kenntnis des Vertreters (Inkassounternehmen) nach allgemeinen Grundsätzen dem Gläubiger als Vertretenem zuzurechnen sein, § 85 Abs. 2 ZPO.
Die Besonderheit: Auch diese Voraussetzung ist gegeben, wenn das angerufene Gericht von der mangelnden Berechtigung der Forderung ausgeht. Der BGH lässt es für die Kenntnis nämlich genügen, wenn dem Gläubiger diese Kenntnis erst durch das zur Entscheidung über den Anspruch aus § 826 BGB berufene Gericht vermittelt wird (BGH NJW 1987, 3256 Rn 23, zitiert nach juris). Es kommt also nicht darauf an, ob die Kenntnis im Titulierungszeitpunkt vorlag. Dies wäre nämlich angesichts der Streitfrage um die Berechtigung des Erstattungsanspruchs nicht anzunehmen.
Hinweis
Eine Besonderheit gilt es allerdings zu beachten: Werden möglicherweise unbegründete (angebliche) Forderungen an ein Factoring-Unternehmen abgetreten, das die Forderungen dann durch einen Rechtsdienstleister titulieren lässt oder selbst tituliert, ohne von den Umständen der Forderungsbegründung Kenntnis zu haben, so bleibt die Vollstreckung aus den erlangten Vollstreckungsbescheiden zulässig, weil das Mahnverfahren nicht missbraucht wurde (BGH NJW 2005, 2991, 2994; Gottwald, in: Müko-ZPO, 5. Aufl. 2016, Rn 237; kritisch wegen der Möglichkeit der Umgehung des § 826 BGB durch Abtretung Fischer, VuR 2006, 448, 449). Nichts anderes kann dann aber für den späteren Forderungskauf durch ein Drittunternehmen gelten, d.h. wenn der Neugläubiger die zu vollstreckende Forderung erst nach Titulierung erwirbt und keine Erkenntnisse zu den zugrunde liegenden Forderungen hat (und zu haben braucht).
4. Die Sittenwidrigkeit der Schädigung
Besondere Umstände, die einem "Ausnutzen" gleichstehen?
Die objektive Unrichtigkeit des Titels und die – spätestens im Prozess auch vom Gläubiger erworbene – subjektive Kenntnis davon reichen aber grundsätzlich...