I. Das Problem
Nebenforderungen im Streit
In der Rechtspraxis sind gerade Nebenforderungen immer wieder umstritten. So kann aktuell auf die vielen Gebühren der Banken verwiesen werden, die der BGH nun für unrechtmäßig erklärt, nachdem sie über Jahre unbeanstandet blieben (BGH NJW 2017, 2986; BGH NJW-RR 2014, 1133). Auch bei den Rechtsdienstleistern sind solche Sachverhalte zu verzeichnen. So wurden von Verbraucherschutzverbänden immer wieder die Kontoführungsgebühren von Inkassounternehmen als unberechtigt angesehen, während die Rechtsprechung sich hier eher uneinheitlich zeigte (gegen die Erstattungsfähigkeit nach alter Rechtslage etwa AG Fürth DGVZ 2008, 47; unter weiteren Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit: LG Nürnberg-Fürth JurBüro 1987, 1258; OLG Frankfurt JurBüro 1990, 487 (VU); AG Stuttgart-Cannstatt, JurBüro 1989, 1276; OLG Koblenz JurBüro 1989, 1277; OLG Stuttgart v. 6.5.1982 – 10 U 209/81 (VU); zur Problematik auch Mümmler, JurBüro 1987, 1257; vgl. auch schon die frühe Zusammenstellung bei Giebel, Rbeistand 1982, 211; einen Überblick zum Sach- und Streitstand gibt Seitz, Inkassohandbuch, 3. Aufl., S. 322/323).
Ist der Streit mit der Titulierung erledigt?
In der Praxis lösen sich für die Zukunft solche Fälle schnell: Die Gebühren werden materiell-rechtlich nicht mehr erhoben. Dabei stellt sich gar nicht immer die Frage, ob diese wirklich unbegründet sind. Vielmehr steht in manchen Fällen der wirtschaftliche Ertrag in keinem Verhältnis zu dem Reputationsschaden, wenn man solche diskreditierten Nebenforderungen weiter erhebt. Davon zu unterscheiden ist aber die in die Vergangenheit gerichtete Fragestellung: Wie ist mit den streitigen Nebenforderungen umzugehen, wenn diese tituliert wurden? Für die Praxis fokussiert sich dabei die Frage meist auf die Titulierung im gerichtlichen Mahnverfahren im Wege des Vollstreckungsbescheides. Dieser Frage soll nachfolgend am Beispiel titulierter Kontoführungsgebühren nachgegangen werden.
II. Die Lösung im Prozessrecht
Materiell-rechtliche Einwendungen, damit auch der Einwand, dass Kontoführungsgebühren als Verzugsschaden oder als Schadensersatz aus unerlaubter Handlung nicht zu erstatten sind, sind grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung oder einem dem gleichstehenden Zeitpunkt – beim Vollstreckungsbescheid wie dem Versäumnisurteil dem Ablauf der Einspruchsfrist – zu erheben. Das ergibt sich im Umkehrschluss aus § 767 Abs. 2 ZPO, der solche Einwendungen nach diesen Zeitpunkten präkludiert, wenn sie zuvor hätten geltend gemacht werden können. Kern dieser Präklusion ist die materielle Rechtskraft.
Prozessrecht vs. materielles Recht: die materielle Rechtskraft
Auf der Grundlage der weitgehend anerkannten prozessrechtlichen Auffassung der materiellen Rechtskraft liegt der Kern dieses Rechtsinstituts darin, eine losgelöst vom materiellen Recht begründete rein prozessual wirkende Bindung des Richters an die rechtskräftige Entscheidung anzunehmen. Sie steht jeder erneuten Verhandlung und Entscheidung des Streitgegenstandes (der res iudicata) entgegen (Musielak, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 322 ZPO Rn 5; Gottwald, in: MüKo-ZPO, 5. Aufl. 2016, § 322 Rn 9; Gruber, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK-ZPO, 26. Edition (15.9.2017), § 322 Rn 10).
Die materielle Rechtskraft verhindert also die Wiederholung eines bereits geführten Rechtsstreits nicht deshalb, weil die Bindung an den rechtskräftigen Richterspruch eine davon abweichende Entscheidung ausschließt und demzufolge der Partei – hier dem Schuldner – einerseits schon das Rechtsschutzinteresse für eine erneute Anrufung des Gerichts fehlt. Durch einen Widerspruch oder Einspruch hätte er die gerichtliche Befassung bereits erreichen können. Vielmehr wird ein Wiederholungsverbot aufgestellt, das ein "ne bis in idem" ausspricht ("Nicht zweimal in derselben Sache"; ständige höchstrichterliche Rechtsprechung: BGH NJW 1993, 2942; BGH NJW 2004, 1252; BGH NJW 2004, 1805; vgl. auch Gottwald, in: MüKo-ZPO, 5. Aufl. 2016, § 322 Rn 10 ff.).
Materielle Rechtskraft setzt formelle Rechtskraft voraus
Da die materielle Rechtskraft bezweckt, den Bestand der richterlichen Entscheidung zu sichern, kann sie erst in einem Zeitpunkt eintreten, in dem feststeht, dass der Richterspruch nicht mehr abänderbar ist. Dies ist der Zeitpunkt, in dem eine Korrektur der Entscheidung aufgrund von Rechtsmitteln ausgeschlossen werden kann. Die materielle Rechtskraft setzt folglich den Eintritt der formellen Rechtskraft voraus. Bei einem Urteil ist dies der Zeitpunkt des Ablaufes der Berufungs- oder Revisionsfrist, bei einem Vollstreckungsbescheid grundsätzlich der Ablauf der Einspruchsfrist.
Vollstreckungsbescheide sind der materiellen Rechtskraft fähig
Nicht völlig unbestritten, aber letztlich von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bestätigt sind neben Endurteilen auch Vollstreckungsbescheide der materiellen Rechtskraft fähig (BGHZ 176, 74, 77 = NJW 2008, 2125 f.; BGHZ 101, 380, 382 = NJW 1987, 3256; BGHZ 112, 54 = NJW 1991, 30; BGH NJW 1987, 3259, 3260; 1998, 28...