Leitsatz
Der Pfändungsfreibetrag ist nicht deshalb zu erhöhen, weil der Schuldner mit einer nicht unterhaltsberechtigten Person in einer sozialrechtlichen Bedarfsgemeinschaft zusammenlebt und diese wegen Zurechnung seines Einkommens nicht hilfebedürftig ist.
BGH, Beschl. v. 19.10.2017 – IX ZB 100/16
1 I. Der Fall zusammengefasst
Schuldner und ein unterhaltsberechtigtes Kind
Am 9.7.2014 wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet, der einem minderjährigen Kind aus erster Ehe zum Unterhalt verpflichtet ist. Von seiner zweiten Ehefrau hat sich der Schuldner getrennt und zahlt ihr keinen Unterhalt, weshalb deren Nichtberücksichtigung nach § 850c ZPO gerichtlich beschlossen wurde.
Aktuell: Leben in einer Bedarfsgemeinschaft
2016 bildete der Schuldner mit seiner Lebensgefährtin und deren zwei Kindern eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 2 und 3 SGB II. Die Lebensgefährtin erhält keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, weil die Einkünfte ihrer Kinder (Unterhalt und Kindergeld) und das Einkommen ihres Lebenspartners und Schuldners (unter Berücksichtigung beider Pfändungen) die maßgeblichen Beträge überstiegen.
Antrag auf Berücksichtigung der Lebensgefährtin
Das Insolvenzgericht hat auf Antrag des Schuldners festgestellt, dass seine Lebensgefährtin als Unterhaltsberechtigte im Sinne von § 850c ZPO ab dem 21.9.2017 zu berücksichtigen sei, wobei der sich für die Lebensgefährtin gemäß der Tabelle zu § 850c ZPO ergebende Betrag die Höhe von 364 EUR nicht übersteigen dürfe. Die Beschwerde des Insolvenzverwalters wurde zurückgewiesen, weil der Schuldner eine faktische Unterhaltspflicht erfülle. Hiergegen wendet er sich mit der Rechtsbeschwerde.
2 II. Aus der Entscheidung
Der BGH widerspricht
Die Lebensgefährtin des Schuldners ist weder gemäß § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO noch nach § 850f Abs. 1 Buchst. a oder c ZPO noch nach § 765a ZPO, auch nicht in analoger Anwendung dieser Regelungen, bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens des Schuldners zu berücksichtigen.
Kein Fall von § 850f Abs. 1 lit a) ZPO
Nach § 36 Abs. 1 InsO, § 850f Abs. 1 lit. a ZPO kann das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht dem Schuldner zwar auf Antrag von dem nach §§ 850c, 850d ZPO pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einen Teil belassen, wenn er nachweist, dass bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen der notwendige Lebensunterhalt im Sinne des dritten, vierten und elften Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII; Sozialhilfe) oder nach Kapitel 3 Abschnitt 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II; Grundsicherung für Arbeitsuchende) für sich und für die Personen, denen er Unterhalt zu gewähren hat, nicht gedeckt ist.
Die Vorschrift soll im Interesse des Schuldners sicherstellen, dass diesem nach Durchführung der Pfändungsmaßnahme das Existenzminimum verbleibt, und im Interesse der Allgemeinheit, welche die Mittel für ergänzende Sozialhilfeleistungen aufzubringen hat, verhindern, dass der Gläubiger zu ihren Lasten befriedigt wird. Reicht der aus § 850c ZPO i.V.m. der dazu gehörigen Tabelle zu ermittelnde pfändungsfreie Teil des Arbeitseinkommens nicht aus, um den individuellen Lebensbedarf des Schuldners zu decken, und sind seine Bedürfnisse bei Bemessung des notwendigen Unterhalts nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO nicht hinreichend berücksichtigt worden, kann dies über § 850f Abs. 1 ZPO ausgeglichen werden. Es ist dann der Schuldner, der – etwa durch eine Bescheinigung des für ihn zuständigen Sozialhilfeträgers – den Beweis zu erbringen hat, dass die ihm belassenen Mittel das Existenzminimum unterschreiten (BGH FamRZ 2004, 620).
Die Differenzberechnung des BGH …
Bei der Entscheidung ist die Differenz zu bilden zwischen dem fiktiv zu bestimmenden ALG II oder der fiktiven Sozialhilfe und dem Einkommensteil, welcher dem Schuldner nach der Pfändung verbleibt. Der sich ergebende Betrag ist dem Schuldner zusätzlich zu belassen, soweit keine überwiegenden Belange der Gläubiger entgegenstehen. Wie der notwendige Lebensunterhalt des Vollstreckungsschuldners nach § 850f Abs. 1 Buchst. a ZPO zu berechnen ist und ob in die Berechnung nur Personen einzustellen sind, denen der Schuldner entsprechend § 850c Abs. 1 S. 2 ZPO aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift Unterhalt gewährt, oder ob alle Personen bei der Vergleichsberechnung zu berücksichtigen sind, "denen er Unterhalt zu gewähren hat", also auch aufgrund einer vertraglichen oder einer anderen als in § 850c Abs. 1 Satz 2 ZPO genannten gesetzlichen Verpflichtung, ist streitig.
Insbesondere ist streitig, ob in den Fällen, in denen Einkommen des Vollstreckungsschuldners bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II einem Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II zugerechnet wird, in der Vergleichsberechnung diese Person zu berücksichtigen ist. Die hier zu § 850f Abs. 1 Buchst. a ZPO aufgeworfenen Fragen müssen nicht entschieden werden. Denn auch wenn zugunsten des Schuldners unterstellt wird, dass seine Lebensgefährtin als Mitglied der Bedarfsgemeinsc...