Leitsatz
1. Die Aufrechnung gegen eine durch Urteil titulierte Forderung unterliegt den Einschränkungen, denen sie unterläge, wenn sie im Wege der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) eingewendet worden wäre.
2. Ist eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung des Titelschuldners in entsprechender Anwendung von § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert, wird sie so behandelt, als sei die Aufrechnung nie erklärt worden.
BGH, Beschl. v. 25.6.2019 – II ZR 170/17
1 I. Aus der Entscheidung
BGH schützt die materielle Rechtskraft
Auch gegenüber einem Anspruch, der durch rechtskräftiges Urteil festgestellt worden ist, kann grundsätzlich aufgerechnet werden. Die Aufrechnung unterliegt dann aber den Einschränkungen, denen sie unterläge, wenn sie im Wege der Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) eingewendet worden wäre (vgl. BGH NJW-RR 1988, 957, 958; BGH NZI 2007, 575 Rn 23; BGH NJW 2013, 3243 Rn 12 ff.; OLG Rostock OLGR 2003, 565; MüKo-ZPO/Schmidt/Brinkmann, 5. Aufl., § 767 Rn 83). Die entsprechende Anwendung von § 767 Abs. 2 ZPO in einem nachträglichen Zivilprozess folgt aus der materiellen Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung (BGH NJW-RR 1988, 957, 958; MüKo-ZPO/Schmidt/Brinkmann, 5. Aufl., § 767 Rn 83).
Die Präklusion der Aufrechnung hat insoweit nicht nur verfahrensrechtliche Wirkung; vielmehr treten auch die materiell-rechtlichen Wirkungen der Aufrechnung nicht ein. Die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen des Titelschuldners werden so behandelt, als sei die Aufrechnung nie erklärt worden (BGH NJW 2009, 1671 Rn 12 m.w.N.; Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 103/11, NJW-RR 2013, 757 Rn 10).
2 Der Praxistipp
Früh prüfe, wer Schaden abwenden will
Im Rahmen der Rechtsverteidigung muss grundsätzlich geprüft werden, ob dem Anspruchsgegner seinerseits gleichartige Zahlungsansprüche gegen den Anspruchsteller zustehen. Daraus ergeben sich unmittelbare Konsequenzen: Steht dem Anspruchsgegner eine Aufrechnungsforderung schon vor der letzten mündlichen Verhandlung zu, bestand also innerprozessual eine Aufrechnungslage, so muss die Aufrechnung auch im Prozess erklärt werden, wenn eine Schwächung der Rechtsposition vermieden werden soll. Hat der Bevollmächtigte darauf trotz Kenntnis von der Gegenforderung nicht hingewiesen, kann sich dies als haftungsträchtige Pflichtverletzung darstellen. Zumindest eine Hilfsaufrechnung muss in Betracht gezogen werden, wenn die primäre Rechtsverteidigung nicht in Frage gestellt werden soll.
FoVo 11/2019, S. 211 - 212