Leitsatz
Durch die Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle kann der Gläubiger den Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO führen, wenn sich daraus ergibt, dass eine solche Forderung zur Tabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten worden ist.
BGH, Beschl. v. 4.9.2019 – VII ZB 91/17
1 I. Der Fall
Vollstreckung aus der Insolvenztabelle
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem vollstreckbaren Auszug aus der Insolvenztabelle vom 10.4.2017 wegen einer Forderung, die in dem bei dem AG – Insolvenzgericht – über das Vermögen des Schuldners geführten und inzwischen aufgehobenen Insolvenzverfahren als Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ("Anzeige § 302 InsO") zur Tabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten wurde.
Das AG verweigert die privilegierte Vollstreckung
Das AG – Vollstreckungsgericht – hat den von der Gläubigerin beantragten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, ihren weitergehenden Antrag auf Änderung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens gemäß § 850f Abs. 2 ZPO jedoch zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen wendet sie sich mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
2 II. Aus der Entscheidung
Der BGH widerspricht AG und LG
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann der Antrag auf Änderung des unpfändbaren Betrages gemäß § 850f Abs. 2 ZPO nicht abgelehnt werden.
Absenkung des Pfändungsfreibetrages
Die Vorschrift des § 850f Abs. 2 ZPO erweitert den Zugriff des Gläubigers auf das Arbeitseinkommen des Schuldners, wenn er wegen eines Anspruchs aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vollstreckt. Der Schuldner soll in diesen Fällen bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit auch mit den Teilen seines Arbeitseinkommens einstehen, die ihm sonst nach der Vorschrift des § 850c ZPO zu belassen wären. Über die Herabsetzung des unpfändbaren Betrages entscheidet auf Antrag des Gläubigers das Vollstreckungsgericht nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen (BGH NJW 2005, 1663).
Keine materiell-rechtliche Prüfung der unerlaubten Handlung
Hingegen ist es nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichts, auch über das Vorliegen eines Anspruchs aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung zu entscheiden. Die Aufgabenverteilung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren hat zur Folge, dass die materiell-rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs dem Prozessgericht obliegt, während die Vollstreckungsorgane die formellen Voraussetzungen prüfen, von denen die Durchsetzung des vollstreckbaren Anspruchs abhängt. Um den Nachweis für das Vollstreckungsprivileg gemäß § 850f Abs. 2 ZPO zu erbringen, hat der Gläubiger dem Vollstreckungsgericht daher einen Titel vorzulegen, aus dem sich – gegebenenfalls im Wege der Auslegung – der deliktische Schuldgrund und der von § 850f Abs. 2 ZPO vorausgesetzte Grad des Verschuldens ergeben. Ergibt sich dies aus dem Titel nicht, kann der Gläubiger im Wege der Klage nachträglich feststellen lassen, dass der Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrührt (BGH NJW 2005, 1663).
Auszug aus der Insolvenztabelle ist ausreichender Nachweis …
Durch die Vorlage eines vollstreckbaren Auszugs aus der Insolvenztabelle kann der Gläubiger den Nachweis einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung für das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs. 2 ZPO führen, wenn sich daraus ergibt, dass eine solche Forderung zur Tabelle festgestellt und vom Schuldner nicht bestritten worden ist.
… was bei einem Vollstreckungsbescheid nicht der Fall ist
Allerdings hat das LG zutreffend darauf hingewiesen, dass die Vorlage eines Vollstreckungsbescheids, der die Forderung als eine solche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung bezeichnet, nicht als Nachweis für das Vollstreckungsprivileg gemäß § 850f Abs. 2 ZPO genügt. Der Grund hierfür liegt darin, dass diese Bezeichnung nicht auf einer Schlüssigkeitsprüfung und einer entsprechenden Einordnung des Anspruchsgrunds nebst Verschuldensgrad durch das Prozessgericht beruht, sondern allein auf der nicht überprüften Angabe des Gläubigers. Hinzu kommt, dass das Mahnverfahren der Titulierung eines Zahlungsanspruchs dient und nicht (auch) dazu bestimmt ist, zur Vorbereitung der privilegierten Vollstreckung den deliktischen Schuldgrund und den erforderlichen Verschuldensgrad feststellen zu lassen. Ein Widerspruch des Schuldners zielt demgemäß auf die Abwehr des Zahlungsanspruchs. Zur Einlegung des Widerspruchs hat der Schuldner keine Veranlassung, wenn er den Betrag jedenfalls im Ergebnis schuldet. Denn will er lediglich eine Abänderung der seitens des Gläubigers erfolgten Anspruchsbegründung, bleibt er mit dem Kostenrisiko belastet (...