Die Formalien sind nicht zu beanstanden
Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist gemäß §§ 794a Abs. 4, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 569 ZPO auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden; der Beschluss ist dem Beklagten jedenfalls nicht vor dem 27.2.2020 zugestellt worden und die Beschwerdeschrift ist am 12.3.2020 bei dem AG eingegangen.
LG sieht den Antrag als begründet an: Obdachlosigkeit vermeiden
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Dem Beklagten ist die begehrte Räumungsfrist bis zum 19.6.2020 antragsgemäß zu gewähren; dem Kläger ist die – aus heutiger Sicht nur noch geringfügige – Verzögerung der Wohnungsrückgabe um etwa einen Monat im Interesse der Vermeidung einer Obdachlosigkeit des Beklagten zuzumuten. Es ist für den Beklagten wegen der grassierenden Pandemie jedenfalls in den vergangenen zwei Monaten praktisch ausgeschlossen gewesen, erfolgreich eine andere Wohnung zu finden und anzumieten.
Auch wenn diese nicht vorhersehbare Änderung der äußeren Umstände sich erst nach dem im Vergleich vereinbarten Räumungstermin während des Beschwerdeverfahrens manifestiert hat, rechtfertigt dies die beantragte Entscheidung. Diese hat auf Grundlage des Sach- und Streitstands im Zeitpunkt der Beschlussfassung zu ergehen, nicht auf Basis eines fiktiven Sachverhalts und bloß der im Zeitpunkt der Antragstellung oder des vereinbarten Räumungstermins vorliegenden Erkenntnisse.
Antrag ist rechtzeitig gestellt
Der Beklagte hat den Antrag auf Gewährung einer Räumungsfrist rechtzeitig gestellt. Das sich nach § 794a Abs. 1 S. 2 ZPO ergebende Fristende des 15.2.2020 war ein Samstag, sodass gemäß § 222 Abs. 2 ZPO die Frist erst am ersten darauf folgenden Werktag, mithin am 17.2.2020 abgelaufen wäre. An diesem Tag ist die Antragsschrift beim AG Charlottenburg eingegangen.
Der Antragsteller muss nicht "vorleisten"
Die Kammer hält an ihrer im Jahr 1993 noch vertretenen Ansicht nicht fest, dass § 222 Abs. 2 ZPO auf das sich aus §§ 721 Abs. 2 S. 2, 794a Abs. 1 S. 2 ZPO ergebende Fristende für die Anbringung eines Antrags auf Gewährung einer Räumungsfrist nicht anwendbar sei, da es sich nicht um eine dem Petenten gesetzte Frist handele und er den Antrag zu einem beliebigen früheren Zeitpunkt hätte stellen können (vgl. LG Berlin, Beschl. v. 3.4.1992 – 64 T 36/92 und 64 T 38/92, NJW-RR 1993, 144).
Denn dieses Argument spräche schon ganz grundsätzlich gegen die Anwendung des § 222 Abs. 2 ZPO; für jedes Fristende gilt, dass die danach präkludierte Handlung auch schon vor dem Tag des Fristablaufs vollzogen werden kann – aber eben nicht vollzogen werden muss (vgl. Münzberg, WuM 1993, 9 f.).
Auch das Argument, "die Zweiwochenfrist" (nach §§ 721 Abs. 2 S. 2, 794a Abs. 1 S. 2 ZPO) diene dem Schutz des Vermieters oder gar des Gerichts, sodass eine analoge Anwendung des § 222 ZPO ausscheide, geht fehl. Die Frist, um die es vorliegend geht, endet typischerweise vor "der Zweiwochenfrist", die nur für die Ermittlung des Tages des eigentlichen Fristendes für den Räumungsfristantrag relevant ist, aber selbst nicht eingehalten werden muss. Diese, also die Frist für die Anbringung des Antrages auf Gewährung einer Räumungsfrist, ist eine echte, in der ZPO bestimmte Frist, auf die deshalb § 222 Abs. 2 ZPO richtigerweise unmittelbar und nicht nur entsprechend anzuwenden ist (vgl. Münzberg, a.a.O., S. 10; Zöller/Seibel, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 721 Rn 8).