Leitsatz

1. Macht der Mieter zur Begründung seines Antrags auf Verlängerung der Räumungsfrist nach § 721 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 ZPO geltend, die ursprünglich gewährte Räumungsfrist habe zur Beschaffung von Ersatzwohnraum nicht ausgereicht, hat das Gericht – erforderlichenfalls im Wege einer Beweiserhebung – tatsächliche Feststellungen dazu zu treffen, ob die vom Mieter bislang entfalteten Bemühungen zur erfolgreichen Beschaffung von Ersatzwohnraum hinreichend intensiv gewesen sind.

2. Eine Versagung des Verlängerungsantrags wegen nicht hinreichender Bemühungen des Mieters ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Gericht tatsächlich feststellt, dass dem Mieter bei hinreichend intensiver Suche die Anmietung von Ersatzwohnraum bis zum Ablauf der ursprünglich gewährten Räumungsfrist gelungen wäre.

LG Berlin, Beschl. v. 23.6.2020 – 67 T 57/20

1 I. Die Entscheidung

AG muss sachgerecht aufklären

Die gemäß §§ 721 Abs. 6 Nr. 2, 567 ff. ZPO statthafte sofortige Beschwerde hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg. Die Kammer hat von der Möglichkeit der Aufhebung und Zurückweisung gemäß § 572 Abs. 3 ZPO Gebrauch gemacht, da das AG den von der Beklagten geltend gemachten Anspruch auf Verlängerung der im erstinstanzlichen Urteil gewährten Räumungsfrist, soweit es zu deren Nachteil entschieden hat, verfahrensfehlerhaft verneint hat.

Mieter muss "hinreichende Bemühungen" zeigen

Ein Anspruch auf Verlängerung einer gerichtlich gewährten Räumungsfrist kann gemäß § 721 Abs. 3 ZPO insbesondere dann bestehen, wenn die Suche nach Ersatzwohnraum während der gewährten Räumungsfrist – trotz hinreichender Bemühungen des Mieters – erfolglos war (vgl. Kammer, Beschl. v. 5.4.2018 – 67 T 40/18, WuM 2018, 383 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nach dem bisherigen Vortrag der Beklagten erfüllt:

Eigene Gesundheit und Covid-19-Pandemie als Hindernisse

Die Beklagte hat – unter Vorlage eines fachärztlichen Attests – behauptet, die von ihr entfalteten Bemühungen zur Anmietung von Ersatzwohnraum seien nicht nur aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen, sondern auch pandemiebedingt nicht unerheblich erschwert. Sie seien deshalb bislang trotz intensiver Bemühungen erfolglos geblieben. Das AG hat eine Verlängerung der Räumungsfrist über den 31.7.2020 hinaus verneint, da der "gesundheitliche Zustand der Schuldnerin für die Entscheidung weniger maßgeblich" sei. Damit allerdings hat es den Vortrag der Beklagten nicht hinreichend zur Kenntnis genommen, bislang auch gesundheitsbedingt nicht zur erfolgreichen Anmietung von Ersatzwohnraum in der Lage gewesen zu sein.

Frage nach der Kausalität

Bei der neuerlich im Rahmen des § 721 Abs. 3 ZPO vorzunehmenden Interessenabwägung wird das AG den gesamten Vortrag der Beklagten zu berücksichtigen und – erforderlichenfalls nach Durchführung einer Beweisaufnahme über ihren von den Klägern bestrittenen Vortrag – darüber zu befinden haben, ob der Beklagten auch bei hinreichend intensiver Suche tatsächlich die Anmietung von Ersatzwohnraum bis zum Ablauf des 31.7.2020 möglich wäre. Dabei werden nicht nur die besonderen persönlichen Verhältnisse der Beklagten zu berücksichtigen sein.

Beweiserleichterungen

Es wird auch zu erwägen sein, ob ihr mit Blick auf die zwischen den Parteien streitige Möglichkeit zur rechtzeitigen Beschaffung von Ersatzwohnraum nicht nur wegen der zusätzlichen pandemiebedingten Erschwernisse (vgl. dazu Kammer COVuR 2020, 428, LG Berlin v. 5.4.2020 – 65 S 205/19, WuM 2020, 301), sondern auch deshalb Beweiserleichterungen zugutekommen, weil die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in Berlin ausweislich der Mietenbegrenzungsverordnung des Senats vom 28.4.2015 (GVBl 2015, S. 101) besonders gefährdet ist (vgl. BGH NJW 2019, 2765 zu Rn 52 [zu § 574 Abs. 2 BGB]; Kammer WuM 2018, 383 [zu § 721 Abs. 3 ZPO]).

Aber: absolute Obergrenze ist zu beachten

Keinen Erfolg hatte die Beschwerde, soweit mit ihr eine Erstreckung der Räumungsfrist über den 18.10.2020 hinaus begehrt wird. Denn gemäß § 721 Abs. 5 S. 1 und 2 ZPO darf die Räumungsfrist, gerechnet vom Tage der Rechtskraft des Urteils an, nicht mehr als ein Jahr betragen. Diese Frist läuft an dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Tag ab.

2 Der Praxistipp

Zwei Fragen, die zu trennen sind

Das LG hat zwei verschiedene Fragen aufgeworfen und durch das AG nicht beantwortet gesehen.

Zum einen die Frage, ob überhaupt hinreichende Bemühungen unternommen wurden.

Die Anstrengungen

In diesem Kontext war zutreffend die Frage zu stellen, zu welchen Bemühungen die zur Räumung verpflichtete Person überhaupt in der Lage war. Vorgebracht werden dazu eigene gesundheitliche Beschwerden, die regelmäßig aber nicht hindern dürften, Vermieter oder Makler anzurufen und sich Bilder oder Exposés senden zu lassen. Auch soweit pandemiebedingt Besichtigungen eingeschränkt möglich waren und sind, sind diese doch nicht unmöglich. Masken können getragen und Abstand kann gehalten werden. Durch konkrete Terminvereinbarungen können Begegnungen von vielen Personen vermieden werden. Vermieter und Makler ha...

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