Kein Unterschied zum neuen Recht
Die Entscheidung des BGH ist noch zu Art. 34 Nr. 1 EuGVVO a.F. ergangen. Die EuGVVO ist zum 10.1.2015 umfassend überarbeitet und neu in Kraft gesetzt worden. Dass im konkreten Fall die alte Fassung für den BGH noch maßgeblich war, bleibt für die Praxis aber ohne Bedeutung, weil der hier gerügte Verstoß – die mangelnde Zustellung des Titels – gegen den odre public weiterhin Regelungsgegenstand der EuGVVO ist. Nunmehr findet sich die Regelung in § 45 EuGVVO n.F.
Grundlegende Verfahrensrechte sind zu wahren
Die Entscheidung des BGH zeigt, dass ein in der Europäischen Union geschaffener Vollstreckungstitel nicht grundsätzlich über jeden Zweifel erhaben ist und deshalb in Deutschland vollstreckt werden kann. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob die grundlegenden Verfahrensrechte – dazu gehören das Verfahrensteilnahme- und Anhörungsrecht – gewahrt wurden.
Hinweis
Eine Anwendung der Vorbehaltsklausel des Art. 45 Nr. 1 EuGVVO kommt nur in Betracht, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates stünde. Damit das Verbot der Nachprüfung der ausländischen Entscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit gewahrt bleibt, muss es sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln.
Prüfung von Amts wegen
Nach dem BGH ist dies von Amts wegen zu prüfen, so dass es keiner besonderen Einwendungen des Schuldners bedarf. Allerdings sind die entsprechenden Anknüpfungstatsachen vom Schuldner vorzutragen. Dabei genügt es aber, dass der Schuldner den Verfahrensverstoß im Tatsächlichen benennt. Im konkreten Fall handelt es sich dabei um die mangelnde Zustellung des Titels und verfahrensleitender Schriftstücke.
Mit eindeutigem Ergebnis
Im konkreten Fall beanstandet der BGH Art. 1135 des polnischen ZVGB, der in § 1 vorsieht, dass die Partei, die ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Ausland hat, verpflichtet ist, einen Zustellungsbevollmächtigten in der Republik Polen zu benennen, wenn sie keinen in der Republik Polen ansässigen Prozessbevollmächtigten bestellt. § 2 bestimmt für den Fall, dass kein Zustellungsbevollmächtigter benannt wird, dass die für diese Partei bestimmten gerichtlichen Schriftstücke in der Gerichtsakte zu belassen sind und als zugestellt gelten. Darüber ist die Partei in der ersten Zustellung zu belehren. Ein Vorgehen des polnischen Gerichts nach dieser Vorschrift verstößt nach Ansicht des BGH gegen den deutschen ordre public. Das steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH (v. 19.12.2012 – C-325/11, NJW 2013, 443). Im Übrigen beanstandet der BGH, dass die Entscheidung keine Begründung enthält und deshalb nicht einmal ihr Rechtscharakter festgestellt werden könne (hierzu Art. 47 Abs. 2 der EU-Grundrechts-Charta).
Die Konsequenzen
Diese Sichtweise des BGH hat konkrete Konsequenzen:
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Bei der Titulierung im EU-Ausland muss die jeweilige deutsche Verfahrensweise im Auge behalten und ggf. im Sinne der Wahrung der Verfahrensrechte des Schuldners interveniert werden, um spätere Schwierigkeiten bei der Vollstreckung, die dem Schuldner in die Hände arbeiten, zu vermeiden. |
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Beim Kauf ausländischer titulierter Forderungen muss das Risiko der verweigerten Erklärung der Vollstreckbarkeit berücksichtigt werden. Ggf. ist hierfür eine Auffangregelung im Vertrag zu treffen, wer dieses Risiko zu tragen hat und wie dann zu verfahren ist. |
FoVo 1/2016, S. 10 - 11