Leitsatz
1. Gegenüber einem rechtskräftigen Unterlassungstitel kann der Schuldner mit der Vollstreckungsabwehrklage geltend machen, dass das ihm untersagte Verhalten nunmehr aufgrund einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mehr verboten ist.
2. Um die entsprechenden Rechte auch gegenüber einem im Verfügungsverfahren erstrittenen und vom Schuldner als endgültige Regelung anerkannten Unterlassungstitel geltend machen zu können, muss sich der Schuldner in der Abschlusserklärung die Rechte aus § 927 Abs. 1 ZPO insoweit vorbehalten, als die veränderten Umstände auch gegenüber einem in der Hauptsache ergangenen Titel geltend gemacht werden könnten.
BGH, 2.7.2009 – I ZR 146/07
1 I. Der Fall
Zunächst Streit um zulässige Werbung
Die Parteien sind Wettbewerber. Nach erfolgloser Abmahnung erwirkte der Kläger beim LG eine einstweilige Verfügung, mit der der Beklagten untersagt wurde, in bestimmter Weise zu werben. Mit anwaltlichem Schreiben gab die Beklagte eine Abschlusserklärung ab, die sie unter die "auflösende Bedingung einer auf Gesetz oder höchstrichterlicher Rechtsprechung beruhenden eindeutigen Klärung des zu unterlassenden Verhaltens als rechtmäßig" stellte.
Der Streit jetzt: RSB nach Abschlusserklärung?
Der Kläger hat die Werbung der Beklagten als wettbewerbswidrig beanstandet. Er hat ferner die Ansicht vertreten, die Abschlusserklärung lasse das Rechtsschutzbedürfnis für den im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht entfallen, weil sie unter einer auflösenden Bedingung abgegeben worden sei. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat geltend gemacht, für den Unterlassungsantrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Eine Gesetzesänderung und eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung müssten – ebenso wie bei Unterwerfungserklärungen – auch bei Abschlusserklärungen als auflösende Bedingungen möglich sein. LG und OLG haben dem Unterlassungsbegehren stattgegeben.
2 II. Die Entscheidung
BGH verneint RSB
Der BGH folgt den Instanzgerichten nicht. Das von dem Kläger geltend gemachte Unterlassungsbegehren ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die einstweilige Verfügung des LG erzielt durch die von der Beklagten abgegebene Abschlusserklärung eine dem erstrebten Hauptsachetitel gleichwertige Wirkung. Damit besteht kein schutzwürdiges Interesse des Klägers mehr an der Erlangung eines Unterlassungstitels. Die abgegebene Abschlusserklärung hat das Rechtsschutzbedürfnis für die von dem Kläger erhobene Unterlassungsklage entfallen lassen.
Wann entfällt das RSB?
Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Unterlassungsklage fehlt, wenn durch eine Abschlusserklärung eine erwirkte Unterlassungsverfügung ebenso effektiv und dauerhaft wirkt wie ein in einem Hauptsacheverfahren erlangter Titel (vgl. BGH GRUR 1991, 76 = WRP 1991, 97 – Abschlusserklärung; BGH GRUR 2005, 692 = WRP 2005, 1009 – "Statt"-Preis). Die Abschlusserklärung muss daher dem Inhalt der einstweiligen Verfügung entsprechen, damit sie die angestrebte Gleichstellung des vorläufigen Titels mit dem Hauptsachetitel erreichen kann, und darf grundsätzlich nicht an Bedingungen geknüpft sein. Dementsprechend bedarf es in der Abschlusserklärung grundsätzlich eines Verzichts auf die möglichen Rechtsbehelfe gegen die einstweilige Verfügung, mithin der Rechte aus §§ 924, 926, 927 ZPO (BGH GRUR 1989, 115; OLG Stuttgart WRP 2007, 688).
Abschlusserklärung muss nicht besserstellen als ein Urteil
Zu beachten ist jedoch, dass der Verzicht des Schuldners den Gläubiger nicht besser stellen soll, als er bei einem rechtskräftigen Hauptsachetitel stünde. Dies wäre bei einem uneingeschränkten Verzicht auf den Rechtsbehelf des § 927 ZPO, der es dem Schuldner ermöglicht, die Aufhebung der einstweiligen Verfügung wegen veränderter Umstände zu beantragen, aber der Fall.
Rechtsprechungsänderung rechtfertigt Klage aus § 767 ZPO
Denn einem Hauptsachetitel können unter den Voraussetzungen der §§ 323, 767 ZPO nachträglich entstandene Einwendungen entgegengehalten werden. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob ein vollständiger Verzicht auf die Rechte aus § 927 ZPO im Hinblick auf nicht vorhersehbare, erst nachträglich entstehende Einwendungen überhaupt wirksam wäre. Für die Beseitigung des Rechtsschutzbedürfnisses für die Hauptsacheklage ist ein uneingeschränkter Verzicht jedenfalls nicht erforderlich. Die Abschlusserklärung braucht solche Einwendungen nicht auszuschließen, die der Schuldner mit einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO auch gegen einen rechtskräftigen Unterlassungstitel in der Hauptsache geltend machen könnte. Zu den Einwendungen, die eine Vollstreckungsabwehrklage gegen einen in der Hauptsache titulierten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch begründen können, gehören grundsätzlich auch Gesetzesänderungen und Änderungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGHZ 70, 151; BGHZ 133, 316; MünchKomm-ZPO/K. Schmidt, 3. Aufl., § 767 Rn 70).
3 III. Der Praxistipp
Gläubiger muss mit gewandelten Abschlusserklärungen rechnen
Gläubiger von Unterlassungsansprüchen werden sich in Zukunft vermeh...