Leitsatz
1. Das GG fordert weder die mehrmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung noch einen zeitlich unbegrenzten Zugang zum Gericht.
2. Auch im Hinblick auf die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 1 GG sind die Gerichte nicht verpflichtet, sich bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
3. Die Schuldner begehrten vor den Fachgerichten vergeblich die Aufhebung der Anordnung der Zwangsversteigerung ihres Grundstücks nach Eintritt der Rechtskraft des Zuschlags.
4. Die fachgerichtlichen Entscheidungen sind nicht zu beanstanden. Die Berücksichtigung neuer Tatsachen innerhalb des Verfahrens über eine zulässigerweise gegen den Zuschlag eingelegte Beschwerde trägt der Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hinreichend Rechnung. Zudem kann der Schuldner ggf. die vorläufige Einstellung der Räumungsvollstreckung erreichen. Dem gegenüber verlangt das GG nicht die Schaffung eines unbefristeten, zusätzlichen Rechtsbehelfs im Zwangsvollstreckungsverfahren.
BVerfG, Nichtannahmebeschl.v. 3.3.2010– 2 BvR 2696/09
1 I. Der Fall
Schutzantrag nach Rechtskraft des Zuschlagbeschlusses?
Die Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen die Ablehnung eines Vollstreckungsschutzantrages nach § 765a Abs. 1 ZPO gegen einen Zuschlagbeschlusses an den Meistbietenden in der Zwangsversteigerung. Nach Rechtskraft des Zuschlagbeschlusses haben die Schuldner erstmals geltend gemacht, dass eine ernsthafte Erkrankung (akute Leukämie) vorliege. Die Zwangsversteigerung bedeute für ihn eine schwerwiegende psychische Belastung, die geeignet sei, Therapieerfolg und Behandlung im Klinikum zu beeinträchtigen; die Zwangsversteigerung stelle insoweit eine Lebensgefahr für ihn dar. Da das Ausmaß seiner körperlichen und psychischen Belastung "soeben" erst bekannt geworden sei, sei ein vorheriger Antrag nach § 765a ZPO nicht möglich gewesen. Der Antrag – gerichtet also auf die Rückgängigmachung des Eigentumsübergangs und nicht gegen die konkrete Räumungspflicht – ist in allen Fachinstanzen und letztlich auch vor dem BVerfG erfolglos geblieben.
2 II. Die Entscheidung
AG bis BGH: Antrag ist schon unzulässig
Alle Fachgerichte haben den Antrag schon für unzulässig erachtet, weil er erst nach der Rechtskraft des Zuschlagbeschlusses gestellt wurde. Das BVerfG hat diese Auffassung für richtig erachtet und damit ein großes Einfallstor für weitere Verfahrensverzögerungen durch den Schuldner geschlossen.
Langer Weg bis zum Zuschlagbeschluss
Bis in einem Zwangsversteigerungsverfahren ein Zuschlagbeschluss erreicht werden kann, vergehen meist viele Monate, in einigen Fällen auch Jahre, in denen sich der Gläubiger allen Rechtsmitteln ausgesetzt sieht, die nur denkbar sind. Sie werden von den Schuldnern in den meisten Fällen nur deshalb genutzt, weil ihnen die Rechtsmittelverfahren Zeit geben, in denen sie ihren bisherigen Lebensmittelpunkt nicht aufgegeben müssen.
BVerfG sieht alle Interessen und beseitigt Gefahr
Ohne jeden Zweifel ist die Konsequenz für den Schuldner hart. Man darf aber auch die Bedeutung der Sache für den Gläubiger sehen, der über einen lange Zeitraum auf den Ausgleich von zum Teil sehr hohen Forderungen warten muss. Auch der Zuschlagbegünstigte muss geschützt werden, der sich nach der Rechtskraft des Zuschlagbeschlusses auf seine neuen Rechte einstellt und ggf. sogar schon weitere Dispositionen getroffen hat. Das BVerfG spricht aus, dass für ihn der nachträgliche Eingriff wie eine Enteignung wirken muss. Mit der Entscheidung des BVerfG herrscht nun Rechtsklarheit: Nach der Rechtskraft des Zuschlagbeschlusses geht für den Schuldner nichts mehr. Er kann allenfalls noch die Räumung verzögern (s.u.).
BGH ist konsequent
Die Entscheidung des BGH, dass ein erstmals nach Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses gestellter, auf Aufhebung der Anordnung der Zwangsversteigerung des Grundstücks – und damit auch des rechtskräftigen Zuschlagsbeschlusses – gerichteter Antrag des Schuldners nach § 765a Abs. 1 ZPO unzulässig ist, fügt sich nahtlos und folgerichtig in eine gefestigte Rechtsprechung ein. Rechtsmängel begründende Tatsachen, die erst nach Erteilung des Zuschlags entstanden oder dem Vollstreckungsgericht bekannt geworden sind, müssen aufgrund der in § 100 ZVG getroffenen Regelung auch in einem Beschwerdeverfahren gegen den Zuschlagsbeschluss grundsätzlich unberücksichtigt bleiben und dürfen nicht zur Aufhebung des Zuschlags führen (vgl. BGHZ 44, 138; OLG Düsseldorf Rpfleger 1987, 514). Dieser Grundsatz erfährt nur dann eine Durchbrechung, wenn eine konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen infolge des Eigentumsverlusts durch die Zuschlagserteilung (noch) während des Verfahrens über eine gegen den Zuschlagsbeschluss z...