Leitsatz
Bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens gemäß § 850e Nr. 1 Satz 1 ZPO gilt entgegen der bisher herrschenden Meinung und zugunsten des Gläubigers die sog. Nettomethode. Die der Pfändung entzogenen Bezüge sind mit ihrem Bruttobetrag vom Gesamteinkommen abzuziehen. Ein erneuter Abzug der auf diesen Bruttobetrag entfallenden Steuern und Abgaben erfolgt nicht.
BAG, 17.4.2013 – 10 AZR 59/12
1 I. Der Fall
Kläger hat pfändbare und unpfändbare Einkünfte
Der Kläger ist seit 1985 bei der Beklagten beschäftigt. Neben dem Grundlohn erhält der Kläger fast in jedem Monat gesetzlich nicht pfändbare Zahlungen, etwa Überstundenvergütungen und Schmutzgelder. Er ist geschieden und zwei Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Hinsichtlich seiner Entgeltansprüche liegen in großem Umfang Pfändungen vor. Die Beklagte lässt für die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens des Klägers die nach § 850a ZPO der Pfändung entzogenen Bezüge als Bruttobeträge unberücksichtigt. In einem zweiten Schritt zieht sie Steuern und Sozialversicherungsabgaben, berechnet allein aus dem verbleibenden Betrag, ab (sog. Nettomethode).
Wie ist zu rechnen: Netto- oder Bruttolohnmethode?
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte berechne den pfändbaren Teil seines Einkommens falsch. Gemäß § 850e Nr. 1 Satz 1 ZPO seien die nach § 850a ZPO unpfändbaren Beträge mit dem Bruttobetrag abzuziehen und dann die auf das Gesamteinkommen entfallenden Steuern und Sozialversicherungsabgaben in Abzug zu bringen. Der Wortlaut des § 850e Nr. 1 Satz 1 ZPO und der Sinn und Zweck der Vorschrift sprächen für diese sog. Bruttomethode. Der Gesetzgeber habe in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung und Modernisierung des Pfändungsschutzes (BT-Drucks 17/2167) zu erkennen gegeben, dass die Methode maßgeblich sein solle.
2 II. Die Entscheidung
BAG folgt der gläubigerfreundlichen Ansicht
Dies ist unbegründet. Bei Vorliegen unpfändbarer Bezüge ist das pfändbare Einkommen gemäß § 850e Nr. 1 Satz 1 ZPO nach der Nettomethode zu berechnen. Gemäß § 850e Nr. 1 Satz 1 ZPO sind bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens die nach § 850a ZPO der Pfändung entzogenen Bezüge nicht mitzurechnen, ferner Beträge, die unmittelbar aufgrund steuerrechtlicher oder sozialrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind.
So rechnet die herrschende Meinung …
Nach der Rechtsprechung der Instanzgerichte und der herrschenden Meinung im Schrifttum sind von dem Gesamtbruttoeinkommen des Arbeitnehmers zunächst die nach § 850a ZPO unpfändbaren Bezüge mit dem Bruttobetrag und anschließend die auf das Gesamtbruttoeinkommen (d.h. einschließlich der unpfändbaren Bezüge) zu zahlenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abzuziehen (sog. Bruttomethode; LAG Berlin, 14.1.2000 – 19 Sa 2154/99; LAG München, 30.5.2007 – 7 Sa 1089/06; LG Mönchengladbach, 1.2.2005 – 5 T 631/04; VG Düsseldorf, 15.6.2012 – 26 K 5884/11; Henze, Rpfleger 1980, 456; MüKoZPO/Smid, 4. Aufl., § 850e Rn 2, 4; Musielak/Becker, ZPO, 10. Aufl., § 850e Rn 2 f.; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850e Rn 7; Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 850e Rn 1a f.; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn 984, 986a, 999b, 1133 ff.; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf, ZPO, 5. Aufl., § 850e Rn 2; PG/Ahrens ZPO, 5. Aufl., § 850e Rn 3, 5; Bengelsdorf, Lohnpfändungsrecht, 2. Aufl., S. 79; Hk-ZV/Meller-Hannich, 2. Aufl., § 850e ZPO Rn 5; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 33. Aufl., § 850e Rn 2). Die auf die unpfändbaren Bezüge entfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge werden nach dieser Ansicht also zweimal in Abzug gebracht. Das soll im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Schuldners und vereinfachte Rechenwege hinnehmbar sein.
… und so die gläubigerfreundliche Gegenansicht
Nach der Gegenansicht sind im Anschluss an den Abzug der nach § 850a ZPO unpfändbaren Beträge mit dem Bruttobetrag lediglich die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Abzug zu bringen, die auf das restliche, also das ohne die unpfändbaren Bezüge verbleibende Bruttoeinkommen zu zahlen sind (sog. Nettomethode, Boewer/Bommermann, Lohnpfändung und Lohnabtretung in Recht und Praxis, Rn 645 ff.; Boewer, Handbuch Lohnpfändung, Rn 752 ff.; Bauckhage-Hoffer/Umnuß, NZI 2011, 745, 747 ff.; im Ergebnis auch ArbG Aachen, 21.2.2006 – 4 Ca 4544/05; Napierala, Rpfleger 1992, 49, 51; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. Aufl., § 850e Rn 3).
BAG hat die Frage bisher offen gelassen …
Das BAG hat über diese Frage bisher nicht ausdrücklich entschieden. Im Urt. v. 4.4.1989 folgte der VIII. Senat im Ergebnis der Bruttomethode, allerdings ohne die Streitfrage zu erörtern (8 AZR 689/87). Im Urt. v. 5.12.2002 erklärte der VI. Senat die Aufrechnung eines Arbeitgebers gegen Lohnforderungen des Arbeitnehmers für gemäß § 394 Satz 1 BGB unzulässig, weil der Kläger im maßgeblichen Monat neben dem stetigen Monatslohn Anspruch auf Überstundenvergütung hatte und der Arbeitgeber nicht dargelegt hatte, welcher Teil des auf der Lohnabrechnung ausgewiesenen Gesamtnettobetrags der...