Leitsatz

Bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens sind auf Antrag ausländische gesetzliche Renten mit inländischen gesetzlichen Renten zusammenzurechnen.

BGH, 18.9.2014 – IX ZB 68/13

1 I. Der Fall

Rente aus Deutschland und Österreich

Die insolvente Schuldnerin bezog von der Deutschen Rentenversicherung eine Altersrente in Höhe von monatlich netto 620,83 EUR und eine große Witwenrente von netto 310,27 EUR. Weiter bezog sie von der Pensionsversicherungsanstalt Landesstelle Wien eine monatliche Pension in Höhe von 756,14 EUR.

Zusammenrechnungsantrag des Treuhänders

Der Treuhänder hat beantragt, die beiden Renten und die Pension zusammenzurechnen und den pfändbaren Betrag der deutschen Rente zu entnehmen. Der Rechtspfleger des Insolvenzgerichts hat dem Antrag ohne Anhörung der Drittschuldner entsprochen. Hiergegen hat die Deutsche Rentenversicherung Erinnerung eingelegt, die das AG zurückgewiesen hat. Auf die sofortige Beschwerde hob das LG den angefochtenen Beschluss auf. Hiergegen wendet sich der Treuhänder mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

2 II. Die Entscheidung

Drittschuldner kann Erinnerung einlegen

Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die Deutsche Rentenversicherung beschwerdebefugt ist. Gegen den Zusammenrechnungsbeschluss ist der Drittschuldner, der aufgrund dieses Beschlusses den pfändbaren Betrag an den Gläubiger abführen muss, beschwert und damit beschwerdebefugt.

Umfang der Insolvenzmasse

Nach § 35 Abs. 1 InsO (vgl. im Verhältnis zu Österreich Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, Art. 4 Abs. 1 und 2 lit. b EuInsVO) erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das der Schuldnerin zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das sie während des Verfahrens erlangt. Dazu gehört auch Auslandsvermögen; das folgt aus dem Universalitätsprinzip. Deswegen fällt – neben der deutschen Alters- und Witwenrente (§ 54 SGB I) – auch die österreichische gesetzliche Altersrente (Pension) als Neuerwerb in die Insolvenzmasse, soweit diese Renten nicht nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO etwa in Verbindung mit § 850c ZPO unpfändbar sind. § 850e ZPO findet Anwendung.

Wortlaut des § 850e ZPO ist sehr eng

Ausländischen Rentenansprüche fallen nicht unter den Wortlaut des § 850e Nr. 2 und Nr. 2a ZPO. Danach sind auf Antrag bei der Pfändung mehrere Arbeitseinkommen oder Arbeitseinkommen und Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zusammenzurechnen, soweit diese der Pfändung unterworfen sind. Die Pensionszahlungen der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt an die Schuldnerin (nach §§ 221 bis 314 des österreichischen Bundesgesetzes vom 9.9.1955 über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz – ASVG), veröffentlicht im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes) sind jedoch weder Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (§§ 18 bis 29 SGB I; vgl. Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 6. Aufl., § 850e Rn 30), was auf der Hand liegt, noch Arbeitseinkommen. Das begründet der BGH näher. Die Pensionszahlungen der Pensionsversicherungsanstalt Wien sind – wie die Zahlungen der Rente nach dem SGB VI – Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. §§ 221 ff. ASVG). Mithin sind sie weder Ruhegelder im Sinne von § 850 Abs. 2 ZPO noch Zahlungen aus privaten Versicherungsrenten.

§ 850e ist analog heranzuziehen

Entgegen der Ansicht des LG (ebenso LG Aachen MDR 1992, 521) sind jedoch deutsche und ausländische gesetzliche Renten in analoger Anwendung des § 850e Nr. 2, 2a ZPO zusammenzurechnen.

Regelungslücke!

Die gesetzlichen Regelungen über die Zusammenrechnung sind lückenhaft. Nach § 850e Nr. 2 ZPO werden nur Arbeitseinkommen zusammengerechnet, nach Nr. 2a Arbeitseinkommen mit laufenden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch. Es ist jedoch unbestritten, dass unterschiedliche laufende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch entsprechend § 850e Nr. 2 und Nr. 2a ZPO zusammengerechnet werden. Entschieden ist der Fall, dass der Schuldner zwei Renten von unterschiedlichen deutschen Rententrägern bezieht (BGH NJW 2010, 2283 unter Anwendung des § 850e Nr. 2 ZPO). Die grundsätz­liche Möglichkeit der Zusammenrechnung von Sozialleistungen (etwa Wohngeld, Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, Kindergeld, Bundeserziehungsgeld, Landeserziehungsgeld) ist ebenfalls anerkannt (BGH WM 2005, 1369 – unter Anwendung des § 850e Nr. 2a ZPO).

Planwidrige Lücke!

Eine Analogie ist zulässig und geboten, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem gesetzlich geregelten Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Das ist bei der Zusammenrechnung inländischer und ausländischer gesetzlicher Renten der Fall.

Der gedankenlose Gesetzgeber

§ 850e Nr. 2 und Nr. 2a ZPO enthalten im Hinblick auf die ausländischen gesetzlichen Renten eine planw...

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