Leitsatz
Die Regelung des § 754a Abs. 1 ZPO erfasst ausschließlich an den Gerichtsvollzieher (GV) gerichtete Vollstreckungsaufträge und nicht auch einen an das Vollstreckungsgericht gerichteten Antrag auf Erlass eines Erzwingungshaftbefehls.
BGH, Beschl. v. 23.9.2021 – I ZB 9/21
1 Der Fall
Vereinfachter Auftrag auf Abnahme der Vermögensauskunft
Der Gläubiger hat gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid wegen einer Geldforderung nebst Zinsen und Kosten in Höhe von insgesamt 1.404,85 EUR betrieben. Hierzu hat er beim AG – Gerichtsvollzieherverteilerstelle – auf elektronischem Weg einen Vollstreckungsauftrag an den GV erteilt. Er hat die Abnahme der Vermögensauskunft und den Erlass eines Haftbefehls beantragt, falls die Schuldnerin dem Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft unentschuldigt fernbleiben werde. Dem Vollstreckungsauftrag hat er eine Abschrift des Vollstreckungsbescheids als elektronisches Dokument beigefügt und versichert, dass ihm eine Ausfertigung des Schuldtitels nebst Zustellungsbescheinigung vorliege und die Forderung in Höhe des Vollstreckungsauftrags noch bestehe.
Verhaftungsantrag, nachdem SU nicht erscheint
Die Schuldnerin ist in dem von der GV anberaumten Termin zur Abnahme der Vermögensauskunft unentschuldigt nicht erschienen. Daraufhin hat die GV ihre Sonderakte nebst den darin befindlichen Ausdrucken des Vollstreckungsbescheids und des Antrags auf Erlass eines Haftbefehls an das AG weitergeleitet.
Im Streit: AG fordert Original des Vollstreckungstitels an
Das AG hat beim Gläubiger den Vollstreckungsbescheid im Original angefordert. Nachdem dieser der Aufforderung nicht nachgekommen ist, hat es den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zurückgewiesen. Das LG hat angenommen, das AG habe im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass des Haftbefehls die Vorlage des Vollstreckungsbescheids im Original verlangen dürfen. Soweit nach § 754a ZPO die Übermittlung des Vollstreckungsbescheids als elektronisches Dokument ausreiche, gelte die Vorschrift lediglich für den Vollstreckungsauftrag beim Gerichtsvollzieher, aber nicht für das gerichtliche Verfahren auf Erlass eines Haftbefehls.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers hat das LG zurückgewiesen. Dagegen hat der Gläubiger die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt.
Verfahren eigentlich durch Forderungsausgleich erledigt
Im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die Schuldnerin die Forderung beglichen. Daraufhin hat der Gläubiger den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls für erledigt erklärt. Der Schuldnerin ist die Erledigungserklärung des Gläubigers mit dem Hinweis zugestellt worden, dass von ihrer Zustimmung ausgegangen wird, falls sie nicht binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schriftsatzes widerspricht. Die Schuldnerin hat sich hierzu nicht geäußert.
2 II. Die Entscheidung
BGH entscheidet nach Erledigung der Hauptsache nach § 91a ZPO
Der Senat hat nach § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens betreffend den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls (§ 802g Abs. 1 ZPO) zu entscheiden. Danach hat der Gläubiger die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Zustimmungsfiktion, wenn nach Belehrung keine Äußerung erfolgt
Das Verfahren über den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls (§ 802g Abs. 1 ZPO) ist aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien in der Hauptsache erledigt.
Im Streitfall ist von übereinstimmenden Erledigungserklärungen auszugehen. Aufgrund des fehlenden Widerspruchs der Schuldnerin innerhalb der Zweiwochenfrist des § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO gilt ihre Zustimmung zur Erledigungserklärung des Gläubigers als erteilt; hierauf ist sie zuvor hingewiesen worden. Die Rechtsfolge des § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO ist eingetreten, auch wenn die Schuldnerin nicht anwaltlich vertreten ist. Da gemäß § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO die Erledigungserklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden können, bedarf es insoweit nach § 78 Abs. 3 ZPO keiner Vertretung durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt (vgl. BGH NZI 2011, 937 Rn 6).
Zulassung der Rechtsbeschwerde mit Tücken: die fehlende Zustellung
Die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien sind wirksam, weil die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch ansonsten zulässig ist (BGHZ 50, 197, 198; BGH NZI 2011, 937 Rn 7). Der Gläubiger konnte das Rechtsmittel wirksam einlegen, auch wenn ihm der angefochtene Beschluss entgegen §§ 329 Abs. 2 S. 2, 575 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht zugestellt, sondern formlos übersandt und der Fehler mangels Zustellungsabsicht des Beschwerdegerichts nicht nach § 189 ZPO geheilt worden ist, so dass die Rechtsbeschwerdefrist des § 575 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht begonnen hat (vgl. BAG NJW 2008, 1610 Rn 9 f.; BGH, Beschl. v. 18.6.2020 – I ZB 83/19, NJW-RR 2020, 1191 Rn 12).
Es entspricht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands der Billigkeit, dass der Gläubige...