Leitsatz
Zahlt der Schuldner vor der mündlichen Verhandlung, ohne den nachfolgenden Erlass eines Versäumnisurteils zu verhindern, kann die materielle Erfüllung weder mit der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO noch mit § 826 BGB geltend gemacht werden.
BGH, 1.12.2011 – IX ZR 56/11
1 I. Der Fall
Trotz Zahlung lässt Schuldner VU ergehen
Im Jahr 2005 verpflichtete sich die Klägerin in einem Vergleich zur Zahlung von 9.611,82 EUR. Der Beklagte ließ sich die Forderung abtreten und verklagte die Klägerin auf Zahlung. Am 24.3.2009 überwies die Klägerin an den Beklagten. Dabei gab sie ein falsches Gerichtsaktenzeichen an, bezeichnete den Mandanten des Beklagten aber richtig. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21.4.2009 erschien für die jetzige Klägerin und damalige Beklagte niemand. Es erging deshalb ein Versäumnisurteil. Nach Ablauf der Einspruchsfrist ließ der Beklagte der Klägerin am 27.7.2010 ein vorläufiges Zahlungsverbot nach § 845 ZPO zustellen. Der Aufforderung der Klägerin, die Vorpfändung wegen der im März 2009 erfolgten Zahlung zurückzunehmen, kam der Beklagte nicht nach.
Vollstreckungsgegenklage gegen die Zahlung
Die Klägerin hat Vollstreckungsgegenklage mit dem Antrag erhoben, die Zwangsvollstreckung aus dem VU für unzulässig zu erklären und den Beklagten zu verurteilen, die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils an die Klägerin herauszugeben, hilfsweise den Beklagten zur Unterlassung der Zwangsvollstreckung zu verurteilen. Während die Klägerin vor dem LG unterlag, obsiegte sie vor dem KG. Der BGH sieht das anders.
2 II. Die Entscheidung
Materiell-rechtlicher Einwand: § 767
Der Einwand der Erfüllung betrifft den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst und ist deshalb grundsätzlich nach § 767 Abs. 1 ZPO mit der Vollstreckungsgegenklage geltend zu machen.
Aber: Präklusion nach § 767 Abs. 2
Der Einwand der Erfüllung ist aber hier nach § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Nach dieser Norm können Einwendungen im Wege der Vollstreckungsgegenklage nur insoweit erhoben werden, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach den gesetzlichen Vorschriften spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können. Sind die Gründe, auf denen eine Einwendung beruht, bereits vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden, in der die Einwendung hätte erhoben werden müssen, ist die Einwendung für das Verfahren nach § 767 ZPO danach in jedem Falle präkludiert. Eine andere Auslegung lässt der eindeutige Wortlaut des Gesetzes nicht zu. Dieses Verständnis entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers und dem Zweck der Norm, die Rechtskraftwirkung unanfechtbar gewordener Entscheidungen zu sichern und Verzögerungen im Vollstreckungsverfahren vorzubeugen (BGH NJW 1994, 460).
Präklusion bei VU verschärft
Der Zusatz in § 767 Abs. 2, letzter Halbsatz ZPO, "und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können", verschärft die Präklusion in den Fällen, in denen ein Versäumnisurteil ergangen ist. Dann sind auch solche Einwendungen von der Vollstreckungsgegenklage ausgeschlossen, deren Gründe zwar nach der letzten mündlichen Verhandlung entstanden sind, aber durch Einspruch noch geltend gemacht werden können. Hierauf kommt es im Streitfall aber nicht an, weil die Einwendung bereits vor der dem Urteil zugrunde liegenden mündlichen Verhandlung entstanden ist.
Nachlässige Prozessführung geht zulasten des Schuldners
Die Erwägungen des KG zu den Besonderheiten des Erfüllungseinwands rechtfertigen keine andere Beurteilung. Auch der Einwand der Erfüllung richtet sich gegen die Rechtskraftwirkung eines ergangenen Urteils. Erfüllt ein Schuldner den mit einer Klage geltend gemachten Anspruch seines Gläubigers vor der letzten mündlichen Verhandlung, ist es ihm in gleicher Weise wie bei anderen rechtsvernichtenden Einwendungen zuzumuten, den Einwand noch im laufenden Verfahren zu erheben und dadurch eine Verurteilung zu verhindern. Die Erwartung, der Gläubiger werde von sich aus die prozessualen Konsequenzen aus der eingetretenen Erfüllung ziehen, enthebt den Schuldner nicht der Pflicht, die Einwendung im Prozess vorzutragen.
Hier auch kein Anspruch nach § 826 BGB
Die Klage hat auch mit dem Hilfsantrag, den Beklagten zur Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus dem VU zu verurteilen, keinen Erfolg. Nach gefestigter Rechtsprechung kann ein Gläubiger in besonders schwerwiegenden, eng begrenzten Ausnahmefällen nach § 826 BGB zur Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen, aber materiell unrichtigen Titel verpflichtet sein, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt; dann muss die Rechtskraft zurücktreten (vgl. etwa BGH NJW 1987, 3256; BGH WM 1999, 919; BGH NJW 2002, 2940).
§ 826 BGB hat drei Voraussetzungen: Unrichtigkeit – Kenntnis – besondere Umstände
Dies setzt neben der ...