Leitsatz
1. Die Zugehörigkeit zu dem Berufsstand der Gerichtsvollzieher begründet für sich betrachtet noch keine wesentliche Mehrgefährdung i.S.v. § 19 Abs. 1 Nr. 1 WaffG. Auch die konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls, insbesondere die Existenz einer gewissen latenten Gefährdungslage, führen zu keiner individuellen erheblichen Mehrgefährdung des Klägers.
2. Der Besitz und das Führen einer Schusswaffe sind zur Minderung einer eventuellen Gefährdungslage auch nicht erforderlich i.S.v. § 19 Abs. 1 Nr. 2 WaffG, da dem Kläger in seiner amtlichen Stellung als Gerichtsvollzieher ausreichend Handlungsoptionen zur Bewältigung eventuell drohender Gefährdungen zur Verfügung stehen.
VG Stuttgart, 20.9.2011 – 5 K 521/10
1 I. Der Fall
GV fühlt sich bei der Zwangsvollstreckung bedroht
Der Kläger, ein Gerichtsvollzieher, begehrt die Erteilung einer Bescheinigung über die Berechtigung zum Erwerb und Besitz von Waffen und Munition sowie zum Führen dieser Waffen. Zur Begründung seines Antrages verweist der Kläger insbesondere auf in jüngster Zeit vermehrt auftretende Probleme bei der Durchsetzung von Zwangsmaßnahmen, indem etwa unter Androhung von körperlicher Gewalt und durch Beleidigungen versucht worden sei, den ordnungsgemäßen Ablauf seiner Amtshandlungen zu verhindern bzw. zu stören. Zudem handele es sich bei der überwiegenden Zahl seiner Amtsbezirke um soziale Brennpunkte mit einem hohen Anteil gewaltbereiter Bevölkerung.
Verwaltung ist dem nicht gefolgt
Die zuständige Verwaltungsbehörde hat keine generelle oder persönliche Gefährdung des Gerichtsvollziehers trotz der von diesem mitgeteilten eskalierten Situationen gesehen und den Antrag abgelehnt. Nach Durchführung eines Widerspruchsverfahrens hat der Gerichtsvollzieher Klage erhoben.
2 II. Die Entscheidung
Die Rechtsgrundlagen
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 55 Abs. 2 Satz 1 des Waffengesetzes (WaffG). Danach wird Personen, die wegen der von ihnen wahrzunehmenden hoheitlichen Aufgaben des Bundes oder eines Landes erheblich gefährdet sind, an Stelle einer Waffenbesitzkarte, eines Waffenscheins oder einer Ausnahmebewilligung nach § 42 Abs. 2 WaffG eine Bescheinigung über die Berechtigung zum Erwerb und Besitz von Waffen und Munition sowie zum Führen dieser Waffen erteilt. Es handelt sich hierbei um eine Spezialvorschrift gegenüber den allgemeinen Vorgaben über die Erteilung von Erlaubnissen zum Erwerb, Besitz und Führen einer Waffe nach § 10 WaffG.
Wann liegt eine erhebliche Gefährdung vor?
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Der Kläger, der seine persönliche Gefährdung aus seiner Tätigkeit als Gerichtsvollzieher herzuleiten sucht, ist wegen dieser von ihm wahrzunehmenden hoheitlichen Aufgaben nicht "erheblich gefährdet" im Sinne des § 55 Abs. 2 WaffG. Wann von einer "erheblichen Gefährdung" im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 1 WaffG gesprochen werden kann, ist im Waffengesetz nicht definiert. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers sind jedoch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 WaffG mit denen des § 19 Abs. 1 WaffG gleichzusetzen und mithin eine erhebliche Gefährdung nur dann anzunehmen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass die betreffende Person wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib oder Leben gefährdet ist (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 WaffG) und dass der Erwerb der Schusswaffe geeignet und erforderlich ist, diese Gefährdung zu mindern (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 WaffG). Auch wenn der Wortlaut des § 55 Abs. 2 WaffG nicht mit der Umschreibung der Gefährdung in § 19 Abs. 1 WaffG übereinstimmt, so sprechen doch die deutlich überzeugenderen Erwägungen dafür, dass der für die Erteilung einer Bescheinigung nach § 55 Abs. 2 WaffG notwendige Gefährdungsgrad dem entspricht, der für die Annahme eines waffenrechtlichen Bedürfnisses im Sinne von § 19 Abs. 1 WaffG erforderlich ist.
Die Folgen für die Frage, ob ein GV eine Waffe tragen darf
Im Ergebnis bedeutet dies, dass auch für eine Bescheinigung nach § 55 Abs. 2 WaffG ein Bedürfnis im Sinne des § 19 Abs. 1 WaffG vorliegen muss. Dabei ist die Vorschrift des § 19 Abs. 1 WaffG als einheitlicher Tatbestand zu verstehen, der in § 19 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 WaffG die zusammengehörigen Kriterien für das besondere waffenrechtliche Bedürfnis für den Erwerb, den Besitz und das Führen von Schusswaffen und Munition zu Verteidigungszwecken wegen einer bestehenden Gefährdungslage aufstellt. Dem Grunde nach müssen besondere, sich vom allgemein bestehenden Sicherheitsrisiko unterscheidende Umstände gegeben sein, die es dem jeweiligen Antragsteller unzumutbar machen, ohne die begehrte Waffe auszukommen, und die deshalb im Sinne eines anzuerkennenden Bedürfnisses zu berücksichtigen sind.
Berufsgruppe der GV ist nicht besonders gefährdet
Das Gericht vermag im Fall des Klägers bereits keine wesentliche Mehrgefährdung im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 WaffG bei seiner Tätigkeit als Gerichtsvollzieher festzustellen. Wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib und Leben gefährdet ist, wer bei realistischer Einschätzung der ...