Leitsatz
Kann ein Zwangsversteigerungsverfahren die Befriedigung des betreibenden Gläubigers aus dem Versteigerungserlös von vornherein erkennbar nicht einmal teilweise erreichen, sind die Kosten der Zwangsvollstreckung nicht als notwendig im Sinne von § 788 Abs. 1 ZPO anzusehen. Dass der Versteigerungsantrag des Gläubigers aufgrund der ihm bleibenden Chance freiwilliger Leistungen des Schuldners zulässig ist, ändert daran nichts.
BGH, 9.10.2014 – V ZB 25/14
1 I. Die Entscheidung
Grundsätze der Kostenerstattung nach § 788 ZPO
Nach § 788 Abs. 1 ZPO hat der Schuldner die Kosten der Zwangsvollstreckung nur zu tragen, soweit sie notwendig im Sinne von § 91 ZPO waren. Anderenfalls fallen sie dem Gläubiger zur Last, da er das Verfahren in Gang gesetzt hat. Dies muss das Vollstreckungsgericht in einer Kostenentscheidung zum Ausdruck bringen, wenn der Schuldner bereits am Verfahren beteiligt war (Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 788 Rn 31; Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 788 Rn 11, 21; KG Rpfleger 1981, 318, 319). Die Notwendigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme ist nach dem Standpunkt des Gläubigers zum Zeitpunkt ihrer Vornahme zu bestimmen. Entscheidend ist, ob der Gläubiger bei verständiger Würdigung der Sachlage die Maßnahme zur Durchsetzung seines titulierten Anspruchs objektiv für erforderlich halten durfte. Daran fehlt es, wenn die Zwangsvollstreckungsmaßnahme für den Gläubiger erkennbar aussichtslos ist (BGH NJW 2005, 2460).
Aussicht auf Lästigkeitsprämie reicht nicht
Kann ein Zwangsversteigerungsverfahren die Befriedigung des betreibenden Gläubigers aus dem Versteigerungserlös von vornherein erkennbar nicht einmal teilweise erreichen, so sind die Kosten der Zwangsvollstreckung nicht etwa deshalb als notwendig im Sinne von § 788 Abs. 1 ZPO anzusehen, weil dem Gläubiger die Chance bleibt, dass der Schuldner unter dem Eindruck der Vollstreckungsmaßnahme möglicherweise Mittel und Wege zu einer freiwilligen Befriedigung findet. Zwar verwehrt es die Rechtsordnung dem Gläubiger grundsätzlich nicht, die Zwangsversteigerung als Druckmittel einzusetzen, um den Schuldner zu freiwilligen Leistungen zu bewegen. Mit dieser Absicht eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen stellen grundsätzlich weder einen Sittenverstoß i.S.v. § 826 BGB dar (BGH WM 1972, 934), noch begründen sie eine mit den guten Sitten nicht zu vereinbarende Härte i.S.v. § 765a ZPO oder lassen das Rechtsschutzbedürfnis des Gläubigers für die Durchführung der Zwangsvollstreckung entfallen (BGH WM 2004, 646; BGHZ 151, 384, 388).
Rechtsschutzbedürfnis und Notwendigkeit unterscheiden
Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob der Schuldner die Kosten eines solchen Zwangsversteigerungsverfahrens nach § 788 Abs. 1 ZPO zu tragen hat. Der Umstand, dass es dem Gläubiger nicht verwehrt ist, mit der Vollstreckungsmaßnahme gleichzeitig Druck auf den Schuldner auszuüben, damit dieser freiwillig leistet, führt nicht zwangsläufig dazu, dass die Kosten des Verfahrens als notwendig i.S.v. § 788 Abs. 1 ZPO anzusehen sind. Denn die Maßstäbe der Notwendigkeit decken sich nicht mit jenen des Rechtsschutzbedürfnisses oder der guten Sitten (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 788 Rn 31). Allein die mit jedem – auch einem erkennbar aussichtslosen – Zwangsversteigerungsverfahren verbundene Hoffnung des Gläubigers, dass der Schuldner Mittel und Wege für eine freiwillige Zahlung findet, um den Belastungen des Zwangsversteigerungsverfahrens zu entgehen, reicht hierfür nicht aus. Maßgebend ist vielmehr, ob der Gläubiger die berechtigte Erwartung haben kann, durch die Versteigerung zumindest teilweise Befriedigung zu finden.
2 Der Praxistipp
Prüfungspflicht des Gläubigers
Die Entscheidung des BGH umschreibt das Risiko des Gläubigers, wenn er eine kostenpflichtige Vollstreckungsmaßnahme einleitet. Sie begründet zugleich, dass der Gläubiger gehalten ist, vor der Einleitung einer Vollstreckungshandlung deren potentielle Befriedigungsmöglichkeit zu prüfen, und erst auf der Grundlage des Ergebnisses seine Ex-ante-Entscheidung treffen darf. Nach den unstreitigen Feststellungen im konkreten Fall musste die Gläubigerin, als sie den Antrag auf Zwangsversteigerung stellte, angesichts der ihrem Recht vorgehenden und aus dem Grundbuch ersichtlichen Belastungen erkennen, dass sie durch das Verfahren keine, auch nicht eine teilweise Befriedigung ihrer Forderung erlangen wird.
Die Befriedigungsoptionen des Gläubigers
Positiv bleibt festzuhalten, dass der BGH dem Gläubiger zunächst die Möglichkeit nicht genommen hat, einen Immobiliarzwangsvollstreckungsantrag zu stellen. Er muss einzig eine Abwägung treffen, wie groß tatsächlich seine Chance ist, im Rahmen einer gütlichen Erledigung eine Teilbefriedigung – einschließlich der Kosten des Vollstreckungsantrages – zu erlangen. Über die Konstellation des BGH hinaus hat der Gläubiger allerdings nicht nur die Chance, vom Schuldner eine – möglicherweise allerdings bei einer späteren Insolvenz nach § 133 InsO über zehn Jahre anfechtbare – Abwendungszahlung zu erhalten, sondern auch durch einen vorr...